Pullach:"Schreib doch mal was, was die Leute interessiert"

Bov Bjerg und Thomas von Steinaecker verdeutlichen zum Auftakt des Pullacher Jugendliteraturfestivals, dass für sie etwaige Grenzen des Genres nicht gelten

Von Udo Watter, Pullach

Manche Dinge wird man so schnell nicht los: Bov Bjerg hat sich nicht nur die schwäbische Klangfarbe seiner Jugend erhalten, sondern auch diesen speziellen Blick, mit dem Teenager, die mitten in der Adoleszenz stehen, die Welt betrachten. Als der 50-jährige, schon lange in Berlin lebende Schriftsteller in einer Kritik über sein Buch "Auerhaus" las, der Autor sei wohl selber nie älter als 18 geworden, fühlte er sich quasi "ertappt". Freilich eher im positiven Sinne, denn mal ehrlich: so viele Vorteile birgt die reife und seriöse Auseinandersetzung mit dem Ernst des Lebens auch nicht - und manch Erfahrungsvorsprung befeuert nur den Zweifel. "Die Themen und Fragen von damals sind nicht erledigt", erklärt jedenfalls Bov Bjerg in der Charlotte-Dessecker-Bücherei in Pullach. Der in der Nähe von Stuttgart geborene Schriftsteller und Kabarettist, der mit "Auerhaus" - einem Roman über eine Schüler-WG kurz vor dem Abitur in der schwäbischen Provinz - einen überragenden Erfolg bei Publikum und Kritik gefeiert hat, war neben seinem Kollegen Thomas von Steinaecker einer der beiden Stargäste bei der Eröffnungsveranstaltung des dritten Internationalen Jugendliteraturfestivals. Das steht heuer im programmatischen Zeichen von "Crossover", was soviel bedeutet, wie die Grenzen zwischen Büchern und literarischen Non-Book-Medien auszuloten sowie zwischen Jugend- und junger Literatur. Mit derartigen Begrifflichkeiten und literaturwissenschaftlichen Einordnungen hat sich Bjerg, der - wie Moderatorin Inge Hütter von Zeit Leo verriet, nicht nach den Gründen für sein Pseudonym gefragt werden will - während des Schreibens natürlich nicht bewusst auseinandergesetzt. Klar, die Protagonisten sind 17- und 18-Jährige, sie stehen an oder schweben unsicher über die Schwelle zum Erwachsensein, aber Bjergs Roman gilt als All-Age-Buch, also für alle Generationen inklusive 50-jährige Bildungsbürger. Erklärung? "Ein schlichter Grund: Es ist leicht zu lesen", sagt der Autor. Freilich muss man das erst mal hinkriegen, in Syntax und vor allem Tonfall die Sprache der Heranwachsenden so zu treffen, dass es einfach gut klingt: klug, unprätentiös, witzig und zugleich melancholisch. Mit einer speziellen Jugendsprache sich an die Zielgruppe "ranwanzen" findet Bjerg furchtbar. Genauso wenig ist er ein Freund der selbstreferenziellen Popliteratur: Obwohl der Roman stark autobiografisch inspiriert ist, hat Bjerg wenig Lokalkolorit eingebaut, konkrete Erfahrungen von damals bewusst weggelassen, dafür die Geschichte zeitlos gestaltet. "Wir waren damals zum Beispiel viel politischer als die WG im Buch. Aber das habe ich weg gelassen, ansonsten kriegt das so was von ,Opa erzählt vom Krieg'. Obwohl es damals oft um die Friedensbewegung ging", erzählt Bjerg, der bürgerlich Rolf Böttcher heißt, mit Augenzwinkern. Überhaupt pflegt er an diesem Abend in Pullach eine angenehm unprätentiöse, offene und humorvolle Art, und auch seine schnelle, und doch verständliche, manchmal lässig-schnoddrige Art zu lesen, kommt gut an. Er bekennt seine Hemmungen und Angst vor dem weißen Blatt Papier ("Es macht mir keinen Spaß zu schreiben. Das erste Zu-Papier-Bringen ist schwierig."), dass sein erster Roman sich ganze 224 mal verkauft hat und sein zweiter, abgebrochener Roman "ein totaler Blödsinn" war. Als er nach einer Lesung mal Gymnasiasten von seiner echten WG-Zeit erzählt und merkt, wie sie an seinem Lippen hängen, kommt ihm dann der entscheidende Gedanke: "Schreib doch mal was, was die Leute interessiert."

Pullach: Bov Bjerg.

Bov Bjerg.

(Foto: Claus Schunk)

Interessieren dürfte Freunde anspruchsvoller Literatur auch, worüber Thomas von Steinaecker, der zweite Protagonist des Abends, in seinem neuem Buch "Die Verteidigung des Paradieses" schreibt. Der gebürtige Traunsteiner war 2012 mit "Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen" für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und reüssiert auch als Journalist, Hörbuchautor und Filmemacher (Echo-Klassik für "Richard Strauss und seine Heldinnen"). Er war ob seiner vielfältigen Tätigkeiten also prädestiniert als Gast des diesjährigen Festivals. Als "Verkörperung des Crossover" stellte ihn die Pullacher Bibliotheksleiterin Eveline Petraschka vor. Von Steinaecker sieht sich freilich primär als Autor. "Das andere sind Auftragsarbeiten. Im Herzen bin ich Schriftsteller." Und obwohl sein neues Buch als dystopischer Roman wieder in der Sphäre des Jugendliteratur-Genres schlechthin spielt und der Protagonist 15 Jahre alt ist, sieht er es keinesfalls auf den Leserkreis der Heranwachsenen beschränkt. In einem apokalyptisch verwüsteten Deutschland der Zukunft geht es bei ihm letztlich um philosophische Fragen, um Verlust, die Bedeutung von Kultur und Fantasie in einer untergegangenen Welt, um Egoismus und Altruismus. "Schon allein aufgrund der Themen ist es kein klassischer Jugendroman und die Genres befinden sich eh in Auflösung." Genres seien eher wichtig für die PR- und Marketing-Leute der Verlage. Eine genaue Unterscheidung zwischen Coming-of-Age, All-Age, Jugend- und Hochliteratur erübrigt sich vielleicht ohnehin, wenn man an Hermann-Hesse-Romane, J. D. Salingers "Fänger im Roggen" oder Wolfgang Herrndorfs "Tschick" denkt.

Pullach: Thomas von Steinaecker.

Thomas von Steinaecker.

(Foto: Claus Schunk)

Die nächste Veranstaltung des Pullacher Jugendliteraturfestivals findet am Freitag, 15. April, statt. Der Abend steht dann im Zeichen von Facebook-Fiction: Senthuran Varatharajah liest in der Charlotte-Dessecker-Bücherei aus "Vor der Zunahme der Zeichen" und Aboud Saeed aus "Der klügste Mensch im Facebook", Beginn 18.30 Uhr.

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