Pullach:Einmal Neonazi und zurück

Pullach, Bürgerhaus, Jugendzentrum freiraum² lädt zu einer kostenlosen Informationsveranstaltung zum Thema Rechtsradikalismus ein. Ein Mitarbeiter von EXIT-Deutschland berichtet

Felix Benneckenstein bei seinem Vortrag in Pullach.

(Foto: Bardehle)

Felix Benneckenstein erzählt in Pullach, wie er in die rechtsradikale Szene geriet und sich wieder von ihr löste

Von Christina Jackson, Pullach

Seine erste Demonstration war der stille Protest Münchner Bürger gegen den Brandanschlag von Mölln. Damals war Felix Benneckenstein sechs Jahre alt. Im November 1992 hatten zwei Neonazis Molotowcocktails auf die Wohnhäuser türkischer Familien in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt geworfen. Zwei Mädchen und ihre Großmutter starben in den Flammen. Für die Familie Benneckenstein war der Protest gegen Rechts in den Neunzigerjahren ein klares Bekenntnis gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Die Eltern konnten nicht ahnen, dass ihr Sohn Felix nur sieben Jahre später alles verabscheuen würde, wofür sie standen: Weltoffenheit, Toleranz und Gewaltverzicht. Aus dem Erdinger Gymnasiasten wurde ein überzeugter Nazi, der als Musiker die rechte Jugendkultur prägte. Im Pullacher Bürgerhaus sprach Felix Benneckenstein nun über diese Entwicklung und seine anschließende Metamorphose zum Helfer für Szene-Aussteiger.

Beides vollzog sich schleichend. Als 14-Jähriger geriet er zwischen die Fronten zweier Jugendgruppierungen. In der Erdinger Freizeiteinrichtung, die Felix Benneckenstein damals besuchte, prallten Welten aufeinander. Junge Migranten und Nazis standen im Dauerkonflikt. Regelmäßige Auseinandersetzungen mit der Polizei gehörten dazu. Musik spielte eine große Rolle und übte auf den jungen Erdinger eine große Faszination aus. Benneckenstein: "Die krasse Ablehnung gegen den Staat. Das traf mein Lebensgefühl." Er schloss sich einer Gruppierung an, die ihn konstant mit Songs von rechts versorgte. Und einer Ideologie, die der 14-Jährige so interpretierte, dass sie trotz geheimer Zweifel passte. Die Tatsache, dass Nationalsozialisten in den Vierzigerjahren Tausende Menschen mit Behinderung umbrachten, leugnete der Schüler. Er hat einen Bruder mit Down-Syndrom, den er liebt. Er brauchte eine Rechtfertigung: "Ich war der Überzeugung, dass meine Nazi-Freunde für eine Volksgemeinschaft stehen, in der es auch für die Schwächsten einen Platz gibt."

Einen Beleg für diese Auslegung fand er in den Nazi-Büchern nicht. Trotzdem ließ er die Zweifel nicht an sich heran. Damals traf er nur jene, die sein Weltbild stützten: Eine 103-jährige NPD-Kreisvorsitzende, die Nazi-Gräueltaten leugnete, rechte Autoren, die von einer jüdischen Weltverschwörung faselten, oder Aktivisten, die ein Aussterben des "deutschen Volks" fürchteten. In diesem Kreis machte sich Benneckenstein schnell einen Namen. Er gründete einen Stützpunkt für bayerische Nationaldemokraten, setzte sich für die Kameradschaft München ein. Nebenbei schrieb er Lieder, in denen es um Revolution und Freiheit geht. Er spielte Gitarre und sang. Als Interpret mit dem Namen Flex wurde er bundesweit bekannt. Bayern war ihm irgendwann zu klein. Er wollte ins Zentrum der Bewegung: Dortmund. Doch als im März 2005 ein 17-jähriger Skinhead in einer Dortmunder U-Bahnstation auf einen Punk einstach und ihn tötete, wurden die Zweifel stark. Benneckenstein kehrte nach München zurück und sagte bei der Polizei gegen führende Neonazis wie Philipp Hasselbach aus. Trotzdem sollte der endgültige Ausstieg drei Jahre lang dauern. Immer wieder fesselten ihn langjährige Kontakte und musikalische Erfolge an die Szene. Ein Prozess, im Laufe dessen er Unterstützung insbesondere durch seine Frau Heidi bekam - ebenfalls eine ehemalige Anhängerin der Neonazis. Gefährliche Situationen häuften sich in diesem Lebensabschnitt. Benneckenstein erinnert sich an ein Klärungsgespräch, das er in Begleitung von Martin Wiese, der die Kameradschaft Süd leitete, führte. "Ich saß im Auto und wusste nicht, ob ich mich in einer Falle befand."

Heute hilft Benneckenstein Aussteigern der Szene und spricht vor Schülern in der gesamten Bundesrepublik. Mit Skepsis beobachtet er die Stimmung im Land. "Es ist leichter geworden, rechte Statements frei zu äußern." Auch der enorme Zulauf für Pegida und AfD bereitet ihm Sorgen. Durchschnittlich suchen bundesweit 50 Neonazis pro Jahr Zuflucht bei der Aussteigerorganisation "Exit-Deutschland". Mit dem Abschied vom rechten Gedankengut geht eine umfangreiche organisatorische Prozedur einher. Kontakte in den sozialen Netzwerken müssen gelöscht, Freundschaften beendet werden. Viele tragen ihre Gesinnung in Form verfassungswidriger Symbole auf der Haut. Zeichen, die nach dem Ausstieg nur noch Scham auslösen.

Benneckenstein hat neben alten Freunden auch die Musik hinter sich gelassen. Nur einmal, bei der Beerdigung seiner Großmutter, griff er zur Gitarre. "Ich merkte schnell, dass ich automatisch die alten Akkorde spielte. Damit war die Musik für mich gestorben."

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