Pullach: Reden über Kriegskinder:"Ein Drittel leidet unter Spätfolgen"

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In ihrem Buch befasst sich die Kölner Autorin Sabine Bode mit der Generation der heute 70- bis 85-Jährigen.

(Foto: Viadata/Imago)

Ein Indianer kennt keinen Schmerz? Die Autorin Sabine Bode forscht über die Verdrängungstaktiken von Kriegskindern, deren Auswirkungen auf ihr heutiges Leben und das nachfolgender Generationen.

Irmengard Gnau, Pullach

Die Autorin Sabine Bode beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Generation, die den Zweiten Weltkrieg als Kind erlebt hat. Am Montag, 22. Februar, spricht die Autorin in der Buchhandlung Isartal über ihren Titel "Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen", in dem sie der Frage nachgeht, wie das Erlebte den Lebenslauf einer ganzen Generation beeinflusst hat.

SZ: Die erste Ausgabe Ihres Buches ist 2004 erschienen. Was war für Sie der Auslöser, sich so intensiv mit der Generation der Kriegskinder auseinanderzusetzen?

Sabine Bode: Als in den Neunzigerjahren die Bilder des Bosnienkriegs im Fernsehen liefen, habe ich mir die Frage gestellt, wie eigentlich die Generation der Kriegskinder hier, die inzwischen auf den Ruhestand zugingen, das Leid damals verarbeitet haben. Ich war anfangs überrascht von dem Desinteresse, auf das ich gestoßen bin, insbesondere bei der Kriegskindergeneration selbst. Die haben mir gesagt: "Wieso? Das war doch normal, anderen ging es doch viel schlechter." Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass solche Erlebnisse keine Spuren hinterlassen haben. Ich habe also versucht, möglichst viele Gesprächspartner zu finden. Doch das war schwierig. Erst 2002, 2003, als die Kinder dieser Kriegskinder in bestimmte Positionen rückten, wurde auch das öffentliche Interesse an dieser Frage stärker.

Warum bezeichnen Sie die Kriegskinder als "vergessene Generation"?

In Deutschland hatte man sich stillschweigend darauf geeinigt, dass die Kinder des Friedens gut davongekommen waren. Die Eltern waren froh, wenn ihre Kinder gute Noten aus der Schule nach Hause brachten und nie von ihren Erlebnissen erzählt haben. Früher sah man das so: Kinder sind robust, die vergessen schnell. "Ein Indianer kennt keinen Schmerz." Es blieb ihnen ja auch gar nichts anderes übrig, es gab ja auch keine Hilfe für sie. Alle haben ihnen bestätigt, dass der Krieg vorbei ist und sie sich keine Sorgen mehr machen sollen. Das war ja auch eine gute Strategie des Überlebens - nur im Erwachsenenleben ist man dann ohne Hilfe, wenn man plötzlich Beschwerden hat, die sich niemand erklären kann.

Welche Auswirkungen hat dieses Schweigen heute?

Heute weiß man, dass etwa ein Drittel der Generation unter Spätfolgen der Erlebnisse damals zu leiden hat. Durch diese Gefühlsbetäubung, die die Kinder damals angewandt haben, kann man die Schrecken auf Abstand halten, die Verdrängung gelingt besser. Aber auch sonst sind die Gefühlsamplituden gedämpft. Das war eine Erfahrung, die mir auch viele der Kinder der Kriegskinder erzählt haben: Bei uns in der Familie ist es ein bisschen unlebendig, die Beziehungen sind häufig unterkühlt. Aber diese Betäubung löst sich nicht, wenn man das nicht von außen ein wenig anstößt.

Wie lautet Ihre Zwischendiagnose: Wie steht es um die psychologische Aufarbeitung der Erfahrungen der Kriegskinder?

Bei vielen Menschen löst sich die Betäubung im Alter, wenn das Langzeitgedächtnis, die Kindheit näher rückt. Dann werden verdrängte Traumata häufig reaktiviert. Aber die Aufarbeitung ist noch gering. Was viele nach meiner Einschätzung als positiv bewerten, ist, dass sich in den vergangenen zehn Jahren viele Fernsehproduktionen der Kriegszeit annehmen, der Mehrteiler "Die Flucht" zum Beispiel. Das finden viele gut, weil sie das Gefühl haben, es redet endlich jemand darüber. Das durfte man zwar vorher auch, aber es schien kulturell nicht erwünscht.

Was hat die Kriegskindergeneration von ihren Erlebnissen den eigenen Kindern mitgegeben?

In vielen Familien gibt es einen blinden Fleck über der NS-Zeit. Bei meinen Recherchen zu Kriegskindern und Kriegsenkeln tauchten fast nie Parteimitgliedschaften der Vorfahren auf. Das ist gewissermaßen nachvollziehbar, das sind Familiengeheimnisse. Aber das ist nicht gut für die späteren Kinder, wenn sie etwa Ungereimtheiten entdecken und das dann gleich abgewiegelt wird. Das irritiert die Wahrnehmungsfähigkeit von Kindern und kann zum Beispiel zu einer schlechten Menschenkenntnis führen. Bei kollektiven Gewaltvergangenheiten wie in Deutschland ist es besonders folgenschwer, wenn man seine Familiengeschichte nicht aufarbeiten konnte - auch etwa heute im Verhalten gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen.

Welche Lehren lassen sich aus den Erfahrungen der Kriegskindergeneration für den Umgang mit heutigen Kriegsopfern ziehen?

Ich halte es zum Beispiel für zentral, dass die Kinder der Flüchtlinge möglichst schnell in die Schule gehen. Schule heißt Normalität, bringt auf andere Gedanken. Außerdem könnte man Lehrer stärker dafür schulen, nicht verarbeitete Traumata und Therapiebedarf bei Kindern zu erkennen; häufig sind es die Stillen, nicht die Verhaltensauffälligen. Ich glaube, die Hemmschwelle, solche Themen anzusprechen, weil man Angst hat, etwas falsch zu machen, ist oft zu hoch. Dabei lässt sich ein gewisses Grundwissen leicht erwerben - und man kann damit in der Gesellschaft so heilsam wirken.

Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Isartal, Johann-Bader-Straße 14 in Pullach. Der Eintritt beträgt zehn Euro.

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