Pullach:Düstere Verführungen

Pullach: Boten alles andere als gefällige "Wellness für die Ohren": Joseph Lin, Ronald Copes (beide Violine), Cellist Joel Krosnick, Bratschist Roger Tapping.

Boten alles andere als gefällige "Wellness für die Ohren": Joseph Lin, Ronald Copes (beide Violine), Cellist Joel Krosnick, Bratschist Roger Tapping.

(Foto: Claus Schunk)

Juilliard Quartett begeistert mit Schuberts "Der Tod und das Mädchen"

Von Udo Watter, Pullach

Ist die Romantik ihrem innersten Wesen nach auf Verführung aus, "und zwar Verführung zum Tode", wie Thomas Mann erklärte? Und was wäre so falsch daran, ihn, den Letzten, anzuerkennen, sein Herannahen zu begrüßen, sich sogar in den Untergang zu verlieben? Komm, süßer Tod. Komm, schwarzer Vogel. Oder erschaudern wir nicht doch im Angesicht des Abgangs, wehrt sich die Seele nicht doch gegen das Hinübergleiten ins Dunkel?

"Der Tod und das Mädchen" - dieses berühmte Streichquartett Franz Schuberts war ein Höhepunkte des Konzerts, welches das Juilliard String Quartet im Pullacher Bürgerhaus gab. Geschrieben 1824, als der Komponist schwere berufliche wie gesundheitliche Krisen durchlitt, beschäftigt sich das Stück mit einem in Kunst und Literatur beliebten Sujet: Der Tod als Verführer, das furchtsame Mädchen, das schwankt zwischen Grauen und Vertrauen.

Die vier Protagonisten des 1947 in New York gegründeten Quartetts, vermieden freilich eine dunkel-romantische (deutsche) Klangfarbigkeit voll möglicher süßer Todeserotik - gerade auch beim Adagio, welches eine Variationsreihe auf die Einleitung zu Schuberts 1817 komponierten Kunstlied "Der Tod und das Mädchen" ist. Vielleicht hätten hier die ersten Töne noch etwas weicher und geheimnisvoller schweben können, aber generell war es schon großartig, wie Joseph Lin, Ronald Copes (beide Violine) Roger Tapping (Viola) und Cellist Joel Krosnick die zunehmend ins Leidenschaftliche drängenden Moll-Variationen steigerten, bevor sich der desperate Kampf mit der Vergänglichkeit in einem aufwühlenden Fortissimo entlud. Das war suggestiv und geprägt von Phrasierungsintelligenz, homogen, zupackend und virtuos: ein Glänzen ohne zu posen. Das galt letztlich für das gesamte Werk, das als Streichquartett quasi sinfonische Dimensionen besitzt und selbstredend an existenzielle Fragen rührt. Die schroffe und düstere Tonsprache, liegt dem temperamentvollen US-amerikanischem Quartett, das im Lauf seiner fast 70-jährigen Karriere vier Grammys gewann und etwa mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik fürs Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Die aktuelle Besetzung erweist sich des großen Namens für würdig, am längsten im Quartett spielt Cellist Joel Krosnick, seit 1974.

Die Triolen und nervösen Sechzehntel-Läufen, die heftigen Doppelgriffe, die Spannung zwischen Moll-Verzweiflung und tröstlichem Dur, reizvolle Dissonanzen - all das nimmt bis zum Schluss in den Bann. Bis auf eine kleinere Unsicherheit des Cellos im vierten Satz ist das ein Vortrag, der mit großer Versiertheit und musikalischen Ernst ans Innerste rührt.

Überhaupt war es ein höchst intensiver, durchaus anstrengender Abend: Was das Juilliard Quartet bot, war alles andere "Wellness für die Ohren". Bei Anton Weberns "Fünf Sätze für Streichquartett" zu Beginn des Konzerts entfalteten sie etwa mit fahlen Klängen, flatternden Flageoletts, heftigen Pizzicati eine verstörende Intensität. Kurze Sätze, die zwischen "Heftig bewegt" und "Sehr langsam" changieren, verschließen sich einer unmittelbaren Umarmung durch den Hörer, haben aber ihre kleinen humorvollen Pointen. Vielleicht etwas zugänglicher war Alban Bergs Streichquartett op. 3, das trotz aller chromatischen Elemente, merkwürdig zitterndem Vibrato und expressiven Passagen auch fast klassische Wohlklang-Momente hat. Das galt freilich noch viel mehr für die Zugabe, den langsamen Satz aus Beethovens 16. Streichquartett: die Protagonisten entfalteten die fast simple, aber bezwingende Schönheit des Satzes so eindrücklich, dass das Publikum nach dem Verklingen des Finalakkords gefühlte zehn Sekunden wartete, ehe es zum Schlussapplaus ansetzte. Mag dem Tod eine verführerische Kraft inne wohnen, für Musik, die so dargeboten wird, gilt das ebenso.

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