Erwin Deprosse:Archivar, Gentleman - und jetzt auch Ehrenbürger

Erwin Deprosse, 2014

Heimatforscher, begnadeter Redner und Ehrenbürger: Erwin Deprosse führt Interessierte regelmäßig zu historisch bedeutenden Orten.

(Foto: Angelika Bardehle)

Der Heimatforscher Erwin Deprosse ist neuer Ehrenbürger Pullachs. Beim Festakt gibt er sich eloquent wie eh und je.

Von Konstantin Kaip, Pullach

Am 19. Mai wurde Erwin Deprosse 84 Jahre alt, geändert hat sich sein Alltag seitdem aber nicht. Er geht immer noch an zwei Vormittagen pro Woche ins Pullacher Rathaus, wo er in seinem Büro im Untergeschoss Zeitungsartikel sortiert und sie in zahlreichen Fächern archiviert. Montags spielt er Volleyball mit "älteren Herrschaften" in der Turnhalle, und seine "historischen Spaziergänge" für die Volkshochschule sind nach wie vor schnell ausgebucht. Seine Präsenz ist auf nahezu allen Festivitäten in der Gemeinde dank seiner hochgewachsenen Statur und seiner stets eleganten Kleidung unübersehbar, und Fragen zur Pullacher Geschichte beantwortet er weiterhin bereitwillig, freundlich und in eloquenter Ausführlichkeit.

Den Beschluss fasste der Gemeinderat am 84. Geburtstag Deprosses

Sein Geburtstagsgeschenk hat ihn nicht verändert: Dass der Pullacher Gemeinderat just am 19. Mai in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen hat, Deprosse die Ehrenbürgerwürde zu verleihen - die höchste Auszeichnung, die eine Gemeinde vergeben kann - merkt man seinem Verhalten jedenfalls nicht an. Dass ihm die Würdigung zu Kopf steigen könnte, stand für die, die ihn kennen, ohnehin nicht zu befürchten. Eine seiner herausragenden Eigenschaften, so sagte es Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) beim Festakt am Mittwoch im Bürgerhaus stellvertretend für alle Freunde und Weggefährten, ist schließlich seine Bescheidenheit.

Die hindert ihn wohl auch daran, dem Titel, den er nun tragen darf, eine gewisse Logik einzuräumen. Die Nachricht, dass er nun der vierte lebende Ehrenbürger Pullachs sei, habe ihn überrascht, sagt Deprosse, "und sehr geehrt". Erwartet habe er die Auszeichnung nicht, und zwingend sei sie keineswegs. Der Gemeinderat war da einstimmig anderer Meinung und begründete das mit Deprosses "tiefer und inniger Verwurzelung mit der Gemeinde" und seinem "außergewöhnlichen ehrenamtlichen Engagement", verriet Tausendfreund. "Ich habe keinen Zweifel, dass Ihnen die Ehrenbürgerschaft zusteht." Deprosse verkörpere zugleich ein "friedliches Miteinander und die historische Verantwortung" und sei ein "vorbildlicher Repräsentant nach innen und außen".

Als Bub kam Deprosse mit seinem Großvater nach Pullach

Umgekehrt hat Erwin Deprosse nie daran gezweifelt, dass Pullach, wo er seit 1936 lebt, seine Heimat ist. Auf die Frage, ob es ihn irgendwann einmal woanders hingezogen habe, kommt prompt ein klares "Nein". Er habe sich in Pullach immer sehr wohl gefühlt, habe dort seine Freunde und Sportkameraden, sagt der 84-Jährige. Dabei war es Zufall, dass er im Alter von fünf Jahren überhaupt in die Isartalgemeinde kam: Sein Großvater, zuvor Direktor der städtischen Friedhöfe in München, musste nach seiner Pensionierung die Dienstwohnung verlassen und fand für die Familie ein Haus in der Habenschadenstraße.

Wie sein Großvater und Vater wurde Erwin Deprosse Verwaltungsbeamter im höheren Dienst und kam, nach fünf Jahren beim Stadtjugendamt München, 1956 ins Rathaus seiner Heimatgemeinde, für das er 40 Jahre lang unter fünf Bürgermeistern tätig war, unter anderem als Kämmerer und schließlich bis zu seiner Pensionierung 1996 als Geschäftsleiter.

Anders als seinen ehemaligen Kollegen Jürgen Westhentanner, der erst Kämmerer war und später Bürgermeister für die CSU wurde, zog es Deprosse nie in die Politik. "Ich war der Meinung, dass ein Beamter neutral bleiben muss." Statt bei einer Partei engagierte sich Deprosse lieber bei der Feuerwehr, wo er 34 Jahre lang aktiv war, oder beim Sportverein, wo er 1948 die Handballabteilung aufbaute, später den Lauftreff gründete, jahrelang Skigymnastik unterrichtete und heute noch Abteilungsleiter für Gymnastik ist.

Seine Berufung fand der "Gentleman im öffentlichen Dienst", wie ein Zeitungsartikel über ihn einst betitelt wurde, dann als er nach der Pensionierung die Leitung des Gemeindearchivs übernahm, die er nun bald 20 Jahre inne hat. Ein "Wunschentschluss", sagt Deprosse, der schon früh eine Leidenschaft für Geschichte entwickelte. "Es kam mir zugute, dass ich in Pullach groß geworden bin", sagt er heute. "Ich habe sehr viel erlebt, was andere vielleicht nachlesen müssten."

Der 84-Jährige hat viel erlebt - und viel nachgelesen

Und natürlich hat Deprosse auch selbst sehr viel nachgelesen über die Geschichte Pullachs. Er kann jedoch so lebendig von der Chaiselongue in der Waldwirtschaft erzählen, auf der an zwei aufeinanderfolgenden Nächten erst Lola Montez und dann Ludwig I. geruht hatten, dass es fast so klingt, als sei er tatsächlich dabei gewesen. Bezeugt hat er das auf mehr als 100 Ortsführungen und zwei Filmen, die es bei der Gemeinde auf DVD gibt.

Als "Rückspiegel, Ortschronist und Heimatforscher" verleihe Deprosse der Heimat die "historische Tiefenschärfe", die sie brauche, sagte der Geschichtsprofessor und ehemalige Vorsitzende des Vereins deutscher Archivare, Hermann Rumschöttel, der den Ehrenbürger in einer Laudatio würdigte. Deprosse stehe wie kaum einer im Landkreis für den "wunderbaren Dreiklang Gemeinde, Heimat und Geschichte".

Erwin Deprosse zeigte sich "überwältigt" von den Lobreden, fasste aber seinen Dank kurz - um ein paar Anekdoten aus dem Pullach seiner Kindheit zu erzählen: einem Ort, in dem die Kinder beim Kirchengeläut schnurstracks nach Hause ins Bett rannten und Schüler zum Kartoffelklauben aus dem Klassenzimmer beordert wurden. Der laute Beifall der Gäste galt wohl auch der Tatsache, dass der neue Ehrenbürger ganz der alte Erzähler geblieben ist. Obwohl Deprosses Schlusswort dann ganz unbescheiden seiner "größten Leistung" galt. Die sei ohne Zweifel die Skigymnastik-Gruppe gewesen, stellte er klar. Denn dort habe er seine Frau Karin kennengelernt.

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