Prozess um Bluttat von Solln:Suche nach Entlastung

Am Dienstag beginnt der Prozess um die Bluttat am S-Bahnhof München-Solln. Die Verteidiger der beiden jugendlichen Schläger werden versuchen, dem Opfer Dominik Brunner eine Mitschuld an der Eskalation zu geben.

Christian Rost

Dominik Brunner wollte vier Kinder vor zwei jugendlichen Räubern schützen - dafür hat der 50-Jährige am 12. September 2009 mit dem Leben bezahlt. Am Sollner S-Bahnhof schlugen und traten der damals 17-jährige Sebastian L. und Markus Sch., 18, so lange auf den Manager ein, bis er sich nicht mehr rührte.

Offenbar Mordanklage gegen Schlaeger von Solln

Die Bluttat vom S-Bahnhof Solln kommt vor Gericht: L. und Sch. müssen sich von Dienstag an wegen Mordes vor der Jugendkammer des Landgerichts München I verantworten.

(Foto: ag.ddp)

Der Gewaltexzess schockte das ganze Land. Das Opfer wurde posthum zum Helden der Zivilcourage erklärt, eine Stiftung nach ihm benannt. Im Fußballstadion standen mehr als 60.000 Menschen bei einer Gedenkminute für Brunner auf. Dass er sich vorbildlich verhalten hat, als er sich vor die Kinder stellte, werden auch die Anwälte der beiden angeklagten Schläger nicht in Zweifel ziehen.

Sie werden aber vor Gericht versuchen, Brunner eine Mitschuld an der Eskalation auf dem Bahnsteig zuzuschreiben.

L. und Sch. müssen sich von Dienstag an wegen Mordes vor der Jugendkammer des Landgerichts MünchenI verantworten. An neun Tagen wird verhandelt, voraussichtlich am 29. Juli will der Vorsitzende Richter Reinhold Baier die Urteile verkünden. Bis zu zehn Jahre Haft drohen den Angeklagten nach Jugendstrafrecht, der zur Tatzeit volljährige Sch. könnte auch zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden.

53 Zeugen benannt

90 Seiten umfasst die Anklage, die Staatsanwalt Laurent Lafleur geschrieben hat und die seine Kollegin Verena Käbisch vor Gericht vertritt. Die Ankläger betonen die Sinnlosigkeit der Tat. Aus bloßer Verärgerung und Wut hätten Sch. und L. auf Brunner eingeschlagen und dabei seinen Tod in Kauf genommen.

53 Zeugen sind dem Gericht benannt, vier Gutachter werden sich zu den 22 schweren Verletzungen des Opfers, der letztendliche Todesursache und der psychische Verfassung der zur Tatzeit betrunkenen Angeklagten äußern. Auch ihre familiäre Herkunft mit Arbeitslosigkeit und Heimaufenthalten, ihr kriminelles Vorleben und ihr Drogenkonsum werden Thema sein.

Von der Schuld am Tod eines Menschen wird sie das aber nicht befreien: Der psychiatrische Gutachter Franz Joseph Freisleder hat festgestellt, dass beide in der Lage gewesen seien, ihr Unrecht einzusehen, ihre Steuerungsfähigkeit sei nicht eingeschränkt gewesen.

Erdrückende Beweislage

Die Verteidiger wollen dennoch wegkommen vom Mordvorwurf und versuchen, die Tat als Körperverletzung mit Todesfolge auszulegen. Dazu dürften sie auf die Strategie des Infrage-Stellens setzen. Maximilian Pauls, der Markus Sch. vertritt, und Jochen Ringler, der zusammen mit Roland Autenrieth Sebastian L. verteidigt, stehen vor einer schwierigen Aufgabe.

Sie müssen sich in diesem Verfahren nicht nur gegen eine entschlossene Staatsanwaltschaft behaupten, die den Schlägern niedrige Beweggründe wie Rache als entscheidendes Mordmerkmal vorhält. Auch der Druck der empörten Öffentlichkeit ist gewaltig, die im wohl vollbesetzten Saal 101 des Strafjustizzentrums von 85 Medienvertretern und 55 Zuschauern auf der Tribüne repräsentiert wird.

Vor allem ist die Beweislage erdrückend. Es ist nicht zu bestreiten, dass Sebastian L. und Markus S. den Tod Dominik Brunners verschuldet haben. Die Schläge und Tritte der beiden verursachten bei Brunner wesentlich schlimmere Verletzungen als die, die sich das Opfer bei einem Sturz während des Angriffs zugezogen hat, bei dem er mit dem Kopf gegen ein Geländer prallte. Dass er dabei tödliche Verletzungen erlitt, schließen die Rechtsmediziner nach der Begutachtung aller 40 Verletzungspunkte am Körper des Opfers aus.

Die Verteidigung wird sich deshalb auf das Geschehen nach der verbalen Auseinandersetzung in der S7 fixieren, wo Brunner den Kindern zu Hilfe kam. Sch. und L. wollten die 13- bis 15-Jährigen "abziehen", ihnen 15 Euro abpressen. Als Brunner, die Kinder und die Jugendlichen in Solln ausstiegen, eskalierte laut Zeugen die Situation: Brunner habe die Kinder weggeschickt, seine Tasche abgelegt und Kampfhaltung eingenommen. Dann habe er Sch. einen Schlag ins Gesicht versetzt. Auch der Lokführer hat das so gesehen.

Die Verteidigung spricht von einem "Missverständnis". Da hätten sich ein Mann mit tadellosem Lebenslauf und ein paar alkoholisierte Loser gegenübergestanden und sich einfach nicht verständigen können. Der eine fühlt sich bedroht und schlägt zu - und die andern schlagen dann auch zu. Diese Sichtweise impliziert, dass Brunner überreagiert hat. Und sie blendet die Möglichkeit aus, dass Sch. und L. sich ihm zuvor aggressiv genähert haben. Selbst wenn sich Brunner nicht in unmittelbarer körperliche rBedrängnis befunden hat, galten für ihn die Notwehr-Paragraphen 32 bis 35 des Strafgesetzbuches, die zur Abwehr einer Gefahr auch einen Präventivschlag rechtfertigen.

Die Verteidigung hat auch eine Erklärung für das unverhältnismäßig brutale Vorgehen der Schläger. Sie spricht von einer "spontanen Affekthandlung".

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