Praxistest:Recherche im Sattel

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Immer stramm voran: Die Radl-Tour der Grünen führte insgesamt 42 Kilometer durch den Münchner Norden und die Landkreise. (Foto: Catherina Hess)

Nachdem der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum für München und die Landkreise Potenzial für Fahrrad-Routen von bis zu 20 Kilometern außerhalb der Stadtgrenze ermittelt hat, machen Grüne den Praxistest

Von Anita Naujokat, Oberschleißheim/Unterschleißheim

Die erste Problemstelle lässt den Radlertross schon wenige Meter nach dem Start an der Bremer Straße verharren. Denn bereits an dieser Kreuzung, an der die Detmoldstraße in die Schleißheimer Straße mündet, zeigt sich symptomatisch, woran es in München, Dachau, Ober- und Unterschleißheim für Radler und eventuelle künftige Schnellradwegverbindungen hapert: Obwohl einigermaßen großzügig geschnitten, ist die Stellfläche an der Kreuzung schon für 15 Radfahrer zu eng. Ein Teil muss den Gehweg versperren, um die querenden Radler nicht zu blockieren.

Die Grünen gehen ans Eingemachte: Nachdem der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München für die Landeshauptstadt und die angrenzenden Landkreise Potenzial für Routen von bis zu 20 Kilometern außerhalb der Stadtgrenze ermittelt hat, machen sie den Praxistest. Sie prüfen die Streckenverhältnisse im Münchner Norden auf ihre Alltagstauglichkeit für Berufspendler, Schüler und Studenten an drei stark frequentierten Verbindungen - zwischen Milbertshofen und Dachau, Dachau, Oberschleißheim und Unterschleißheim sowie von Unterschleißheim nach Oberschleißheim und München. Das Fazit: Das Projekt ist machbar, der Weg dahin lang. Die Landkreis-Grünen haben erst unlängst einen Antrag eingebracht, den der Kreistag einstimmig annahm.

Der Tour der Grünen im Münchner Norden haben sich Stadtbezirks-, Kreistags-, Ortspolitiker und Stadträte von Dachau bis zum Starnberger Land angeschlossen, viele in mehreren Ämtern tätig wie Brigitte Huber, Dritte Bürgermeisterin in Unterschleißheim und Kreisrätin. Zur gut 42 Kilometer langen Tour hatten sie schon die Anreise auf dem Rad bewältigt.

Die erste Grundsatzdiskussion wenige Meter später beim ehemaligen Virginia-Depot: Soll man ein bisschen Natur dem Radler-Glück opfern, oder ist ein Umweg von 200 Metern zumutbar? Das Ergebnis: unentschieden. Und wie werden sich Rollstuhlfahrer, Mütter mit Kleinkindern und Spaziergänger mit Rollator in der angrenzenden Grünanlage fühlen, wenn durchweg scharenweise Radfahrer vorbeidüsen?

Die Naturfrage beutelt einen auch auf dem Weg über den Kalterbach Richtung Karlsfeld. So schön die Natur auch ist: Dort möchte man am liebsten das Rad - oben Mountainbike, unten Stadtreifen, die Asphalt lieben - ins Gras schmeißen und zu Fuß weitergehen. Grobe Kieselsteine und mit Kies aufgeschüttete Löcher erschweren schon bei trockenem Untergrund das Vorwärtskommen über Kilometer. Hier müsste befestigt werden. Und ohne Führung, Schilder oder GPS würde man sich im Wegegewirr jeden Tag rettungslos verfahren.

Dabei ist diese Route nicht nur für Dachauer mit Arbeitsplatz im Münchner Norden interessant, sondern auch für manchen Münchner, der nach Ingolstadt pendelt. Der Bahnhof Dachau sei für den Nordmünchner der erste Bahnhof mit regionalem Zugverkehr, erläutert Jürgen Trepohl, Sprecher des Grünen-Ortsverbandes München-Nord, ansonsten müsste man erst zum Münchner Hauptbahnhof. In derselben Zeit wäre der Ingolstadt-Pendler bereits am Bahnhof in Dachau. Der Dachauer Bündnis-Stadtrat Bernhard Sturm kritisierte viele Planungen von Neubaugebieten als verfehlt. Es werde immer nur autozentrisch geplant, Fuß- und Radwegverkehr finde in den Köpfen der Planer nur am Rande statt. So fehle auch eine gescheite Verbindung zwischen dem Schulzentrum in Augustenfeld und dem Bahnhof. Radler müssten sich mühsam durch Wohngebiete schlängeln.

Das erste Stück des Radweges entlang der Schleißheimer Straße in Dachau Richtung Oberschleißheim müssen sich gleich zwei Parteien in beiden Richtungen teilen: Radler und Fußgänger. Zwischendurch parkt auch noch das eine oder andere Auto auf dem halben Streifen. Schnellfahren: Fehlanzeige. Der zweite Teil auf der anderen Seite ist zwar gut ausgebaut, verläuft jedoch gegen den Autoverkehr und liegt teilweise tiefer als die Straße, so dass die Autoscheinwerfer nachts direkt in die Augen strahlen und blenden.

Wie ein Beispiel für das gerade am Dachauer Bahnhof Gehörte erweist sich die neue Bahnunterführung in Unterschleißheim: eine Betonwanne mit hohen Rändern, die jedes Abbiegen unmöglich machen. Wer von Norden kommt, wird als Radler im Zickzack über einen Steg gezwungen, wenn er geradeaus will. "Eine komplette Fehlplanung" sagt Sturm, "wer das konstruiert hat, hat noch nie auf einem Rad gesessen." Bleibt die Frage, ob der Radweg benutzungspflichtig wird, noch ist dort Baustelle. Die Strecke durch den Berglwald gehört dann wieder zu den schönen. Aber ob man sie Frauen im Dunkeln empfehlen könnte, bleibt dahingestellt. Auch die beste Beleuchtung macht einsame Stellen nicht sicherer.

Zurück in München kommt man wieder bei der Ausgangsfrage an: Wie soll das innerstädtisch bisweilen äußerst beengte Radwegnetz auch noch Radlerströme von außerhalb aufnehmen? Umverteilung der Flächen und ein Aufbruch der Mobilitätsstruktur, ist die Antwort der Münchner Stadträte Paul Bickelbacher und Herbert Danner. Erzeugt durch den Druck von immer mehr Radlern. Wobei, so sehen es die Grünen, Schnellradwege nur ein Teil im Puzzle eines völlig geänderten Mobilitätsverhaltens aus Car-Sharing, Ausbau des öffentlichen Verkehrs und anderem sein könne. Die gewonnenen Erkenntnisse wollen die Grünen in einem Workshop am Freitag, 12. Juni, diskutieren.

© SZ vom 20.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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