70 Jahre in der SPD:Max Mannheimer warnt vor Pegida

Max Mannheimer

Max Mannheimer ist seit 70 Jahren SPD-Mitglied - länger als der verstorbene Altkanzler Helmut Schmid es war

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Der Holocaust-Überlebende über Frauke Petry, Toleranz - und was man alles glaubt, wenn man verliebt ist.

Interview von Markus Mayr

Max Mannheimer ist schon länger Sozialdemokrat, als der kürzlich verstorbene Altbundeskanzler Helmut Schmidt es war. Doch anders als Schmidt ist Mannheimer nie aktives Parteimitglied gewesen. Sein Parteibuch habe er eher zufällig erlangt, erzählt er.

Wie das kam, darüber spricht er anlässlich seines 70. Partei-Jubiläums mit der Süddeutschen Zeitung. Der 95-Jährige gibt mit wachem Geist und hörbarem Hang zum Humor den Takt des Gesprächs und dessen Schwerpunkte vor. So lässt sich erfahren, warum der seit Jahren in Haar wohnende Überlebende des Holocaust nie ein berühmter spanischer Stierkämpfer wurde und warum das auch gut so ist.

SZ: Herr Mannheimer, wie wurden Sie Mitglied der SPD?

Max Mannheimer: Meine zweite Frau, die im Widerstand gegen die Nationalsozialisten war, hat gesagt: Die SPD ist die beste Partei. Und wenn man verliebt ist, dann glaubt man so was. Seitdem bin ich eben Mitglied der Partei.

Wann und wo war das?

Am 1. Dezember 1945 habe ich mich der sozialdemokratischen Partei meiner Heimatstadt Neutitschein in der Tschechoslowakei angeschlossen.

Wie kamen Sie von der tschechischen zur deutschen SPD, von Neutitschein nach München?

Eigentlich hatte ich mir nach dem Krieg geschworen, Deutschland zu verlassen und nie wieder deutschen Boden zu betreten. Ich wollte nicht in einem Land leben, wo sie andere Menschen wegen ihrer Religion ermorden - in meinem Fall waren es sechs meiner nahen Angehörigen, die in der Gaskammer gestorben sind. Ich ging zurück nach Neutitschein und traf dort ein hübsches Fräulein. Ich fragte sie auf Tschechisch: "Fräulein, haben sie Bananen?" Und da lachte sie. Denn sie war eine Deutsche, die perfekt Tschechisch sprach.

Wie ich später erfuhr, hatte sie schon vor dem Krieg einen jüdischen Professor vor den Angriffen der Nazischüler verteidigt. Sie hatte privat Englisch gelernt und gegen Kriegsende britischen Kriegsgefangenen heimlich BBC-Nachrichten zugesteckt. Eine sehr gefährliche Sache. Das hat mir imponiert, dass sie dieses Risiko eingegangen war. Ich verliebte mich in sie, und sie versicherte mir, dass Deutschland, nach dem, was passiert war, ausgezeichnete Chancen hat, eine Demokratie zu werden. Und wenn man verliebt ist, glaubt man solche Sachen. Und so war ich am 7. November 1946 wieder in dem Land, dessen Boden ich nie mehr betreten wollte.

Und wo traten Sie in die SPD ein?

Nach meiner Rückkehr im Herbst 1946 in Kitzingen. Ein Freund von mir lud uns dann ein, nach München zu ziehen. Meine Frau wurde später SPD-Stadträtin dort. Ich selbst habe nie eine parteipolitische Funktion gehabt, aber wegen meiner Arbeit mit Jugendlichen habe ich alle möglichen Ehrungen bekommen, die es so gibt. Meine zweite Frau verstarb leider 1964 an Krebs.

In diesem Jahr sind auch die Aufzeichnungen für Ihr erstes Buch entstanden.

Ja, mein erstes Büchlein ist unter Zufall entstanden: Nachdem ich meine Frau verloren hatte, wurde ich am Kiefer operiert, bei den Barmherzigen Brüdern in München. Den Arzt fragte ich, wie es denn mit dem histologischen Befund sei. Er sagte: negativ. Also für mich gut. Er wollte mir am nächsten Tag diesen Befund mitbringen, vergaß es aber drei Tage in Folge. Ich dachte: Das ist eine barmherzige Lüge. Morgen werde ich sterben. Also habe ich unter starkem psychischem Druck, nicht chronologisch, angefangen mein Leben aufzuschreiben. Heraus kam ein geschriebenes Stakkato.

Erst 1985 wurden diese Aufzeichnungen in den Dachauer Heften veröffentlicht. Diese machten Sie als Zeitzeugen bedeutsam.

Ich bin inzwischen schon fast 30 Jahre an Schulen, Universitäten und in Gedenkstätten unterwegs, um als Zeuge der Zeit, nicht als Ankläger oder Richter, den nachfolgenden Generationen die Gefahr einer Diktatur näher zu bringen. Denn, selbst wenn Politiker nicht immer Vorbilder sind: Besser eine fehlerhafte Demokratie als eine starke Diktatur.

Was ist es, das Sie zu einem solch populären Redner über die Zeit macht, in der Ihnen und Ihrer Familie Schreckliches widerfahren ist?

Meine Stärke ist, dass ich mich hineinversetzen kann in die Situation der Menschen von damals. Würde ich nicht aus einer jüdischen Familie, aus einer Familie von Antifaschisten stammen, ich wüsste nicht, ob ich nicht damals Ja gesagt hätte. Beim Anblick eines Fahrtenmessers und einer Uniform.

Viele Leute waren damals arbeitslos. Bei denen kam das an, eine Uniform vermittelt einen gewissen Status. Man sieht das ja beim Hauptmann von Köpenick. Zudem hat Hitler durch seine Redegewandtheit die Leute überzeugt. Was ich damit sagen will: Ich habe Verständnis dafür, dass die Leute sich von ihm einfangen haben lassen.

Mannheimers Haushälterin bringt sein jüngst erschienenes "Spätes Tagebuch". Er nimmt es zur Hand.

Mein Engagement, dass ich also noch so aktiv bin, und die positive Resonanz ermutigen mich, trotz meines Alters weiter zu machen.

Tragen Sie die SPD-Nadel immer am Revers?

Normalerweise trage ich nur den Bayerischen Verdienstorden. Nur heute zur Feier des Tages trage ich auch die SPD-Nadel.

Toleranz - auch gegenüber Intoleranz

Sie waren mit dem Vorsitzenden der CSU, Horst Seehofer, in Israel. Wie haben Sie ihn erlebt?

Seehofer war ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Wir haben während des Flugs über Goethe gesprochen. Er wusste mehr über ihn als ich. Obwohl Goethe immer mein großes Vorbild war, wegen der Vielseitigkeit des Genies.

Gab es in Ihrer 70 Jahre währenden SPD-Mitgliedschaft eine Zeit, in der Sie gerne mit der Partei brechen wollten?

Nein, das würde ich nie tun. Wenn man etwas verändern will, darf man nicht austreten, man muss in der Partei bleiben.

Sie waren nie aktives Mitglied Ihrer Partei. Die hat Sie geehrt wegen Ihres Engagements gegen das Vergessen.

Und außerdem kommt in jedem Vortrag meine verstorbene Frau vor, weil ich ja erklären muss, wie ich wieder nach Deutschland und zur SPD gekommen bin. So kommt es, dass ich in jedem Vortrag Werbung für die immer schwächer werdende Partei mache.

Sie engagieren sich gegen das Vergessen. Gibt es irgendeine Episode in den vergangenen 70 Jahren, die Sie doch gerne vergessen würden?

Ja. Skandale von SPD-Politikern zum Beispiel. Unredlichkeiten. So etwas schadet jeder Partei. Und wenn man etwas Dummes gesagt hat und sich dann entschuldigt: Das bedeutet für mich nichts. Es kommt auf die Gesinnung an, die Einstellung. Auf alle Fälle ist es so, dass durch verschiedene schlechte Beispiele die Leute dann von Politikern und der Politik im Allgemeinen enttäuscht sind.

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, zeigte sich besorgt, weil viele Flüchtlinge, die vor Terror derzeit nach Europa fliehen, Kulturen entstammen, "in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil ist". Er sprach sich für Obergrenzen aus. Teilen Sie als Jude und wegen Ihres Glaubens einst Verfolgter seine Einschätzung?

Sie ist nicht unberechtigt. Die Juden sind die meist gehasste Minderheit. Der emeritierte Papst hat gesagt, dass die Juden nicht an der Kreuzigung Christi schuld sind, dass es eine römische Strafe war. Hätte er das im ersten Jahrhundert gesagt, dann würden wir jetzt nicht hier sitzen. Denn unter dem römischen Kaiser Titus mussten die Juden im Jahr 70 das Land verlassen. Meine Vorfahren waren zum Schluss in Spanien.

Dazu erzähle ich immer folgende Geschichte: Isabella von Kastilien hat im 15. Jahrhundert den Juden die Möglichkeiten gegeben, katholisch zu werden oder das Land zu verlassen. Wenn meine Vorfahren katholisch geworden wären, wäre ich vielleicht ein berühmter Torero geworden. Die Frauen hätten mir zugejubelt. Andererseits hätte mich ein Stier auf die Hörner nehmen können, sage ich, ohne Narkose, das tut weh. So bin ich froh, dass meine Vorfahren jüdisch geblieben sind, obwohl wir einen schweren Weg zu gehen hatten, sonst könnte ich heute hier kein Interview machen. Denn tote Toreros sprechen ja nicht mehr.

Das ist eine schöne Geschichte. Doch noch einmal zurück: Schusters Äußerungen seien nicht unberechtigt, sagten Sie. Würden Sie wie er Obergrenzen für Flüchtlinge aus antisemitischen Kulturen fordern?

Das würde ich nicht machen, weil es diskriminierend ist und gegen die Grundsätze Offenheit und Toleranz verstößt. Zudem ist noch kein Asylsuchender, der hier ankam, mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen. Eine viel größere Gefahr sind diese Pegida-Leute. Diese Frauke Petry hat so eine Gewalt in ihrer Aussage. Wir haben geglaubt, Bernd Lucke ist ein schlimmer Mann, aber er war noch tolerant im Gegensatz zu seiner Nachfolgerin.

Sie fordern also Toleranz auch gegenüber Intoleranten?

Ja. Wenn ich erwarte, dass die anderen Juden gegenüber tolerant sind, dann muss ich auch den anderen gegenüber tolerant sein. Nur durch Toleranz kann ein Ziel erreicht werden. Durch Scharfmachen nicht. Und Josef Schuster ist im Grunde ein toleranter Mann, wie die Kontakte zu Muslimen zeigen, die er unterhält.

Wurden Sie schon angegriffen hier in der Region, weil sie Jude sind?

Bis jetzt habe ich Glück gehabt, es hat mich noch niemand zusammengeschlagen. Ich habe einige beleidigende Briefe bekommen, aber die habe ich einfach ignoriert.

In Taufkirchen soll eine Straße nach Willy Messerschmitt benannt werden. Wie finden Sie das?

Die Sache, dass Willy Messerschmitt mit einer Tafel oder einem Straßenschild geehrt wird, ist ja nicht neu. Aber es muss einfach nicht sein. Das Argument, er sei ein hervorragender Techniker gewesen, greift nicht angesichts seiner Schuld am Tod von unzähligen Zwangsarbeitern während der NS-Zeit.

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