Pavillon auf dem Marstallplatz:Zersplittert in Ewigkeit

Zu kurzlebig, um die Münchner zu provozieren: Der zackige Pavillon von Coop Himmelb(l)au für die Opernfestspiele ist eingeweiht worden.

Laura Weißmüller

Der Schlag hätte gesessen. Mitten in München, gleich hinter dem Nationaltheater und vor Klenzes ehemaliger Hofreitschule steht jetzt ein silbergraues Gebilde, das mit seinen Zacken, schrägen Prismen und unregelmäßigen Kanten aussieht wie ein Bergkristall - oder aber, wenn man von der Maximilianstraße kommt, wie ein Aluminiumkäfig, in den man einen kraftvollen Wüterich gesperrt hat, der sich jetzt energisch den Weg nach draußen bahnen will. Mehr architektonischer Kontrast zum historischen Marstallplatz geht nicht. Die Provokation wäre perfekt gewesen.

Pavillon auf dem Marstallplatz: Wenn das mal keine Kampfansage ist - der Pavillon 21 Mini Opera Space auf dem Marstallplatz.

Wenn das mal keine Kampfansage ist - der Pavillon 21 Mini Opera Space auf dem Marstallplatz.

(Foto: sz.lokales)

Doch der städtebauliche Aufschrei bleibt aus, München - nicht unbedingt Hort architektonischer Avantgarde, wenn man an die Hochhaus-Debatte denkt - klatscht vielmehr eifrig Applaus für die neue Spielstätte der diesjährigen Opernfestspiele. Wohl wissend, dass der "Pavillon 21 Mini Opera Space", wie der Bau des Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au mit vollem Namen heißt, nur vorübergehend das historische Platzensemble aus dem Gleichgewicht bringen wird.

Die Aufführungsstätte mit etwa 300 Sitzplätzen soll jährlich nur bei den Festspielen zum Einsatz kommen und dazwischen - zerlegt in ihre Einzelteile und verpackt in große Container - um die Welt reisen. So macht selbst konservativen Architekturbefürwortern die zerfetzte Formensprache der Wiener Dekonstruktivisten Spaß: Wenn sie nach kurzer Spielzeit wieder aus dem Blickwinkel verschwindet.

Die Zacken und Spitzen, die da in alle Richtungen weisen, haben jedoch eine wichtige Funktion: Sie sollen den Lärm der Umgebung nach oben hin ableiten. Die sogenannten Spikes sind dabei in Form gefrorene Musik: Eine in 3D umgesetzte Tonsequenz aus Mozarts "Don Giovanni" und eine Zeile von Jimi Hendrix' "Purple Haze" (wie könnte es bei Himmelb(l)au anders sein als "Scuse me while I kiss the sky") geben die Richtung und die Größe der Spikes vor.

Wie gut die Fläche damit tatsächlich den Schall reflektiert, wird sich am 24. Juni herausstellen, wenn Christoph Schlingensief hier mit seinem ersten Projekt aus dem afrikanischen Operndorf den Pavillon eröffnet.

Doch Himmelb(l)au-Chef Wolf D. Prix ist sich bereits sicher: Die Idee, über die äußere Form auch die Akustik im Inneren zu beeinflussen, wird die Architektur zukünftiger Konzerthäuser prägen. Er selbst sieht Parallelen zum tipiartigen Weltausstellungspavillon von Philips 1958, dessen Innenraum Iannis Xenakis unter der Leitung von Le Corbusier auf die Musik des zeitgenössischen Komponisten Edgar Varèse hin entwarf. Anders jedoch als in Brüssel wartet im Inneren des Münchner Pavillons nur eine funktionale Black Box auf den Besucher, die Spikes sind nur vorgeschnallt - doch das macht den Raum extrem flexibel.

Genau das verlangt das moderne Musiktheater von seinen Spielstätten; umso erstaunlicher ist, dass die meisten Stücke noch in Häusern des 19. Jahrhunderts aufgeführt werden. Staatsopern-Intendant Nikolaus Bachler wünschte sich deswegen für das moderne Programm, das hier stattfinden soll, einen Entwurf, der den veränderten Sehgewohnheiten, den modernen Medien und den aktuellen Themen Rechnung trägt.

Veränderbar wie eine Wolke

Der Pavillon, dessen 2,1 Millionen Euro teure Baukosten von der Staatsoper, dem Freistaat Bayern und privaten Sponsoren übernommen wurden, wirkt sichtbar provisorisch: Hinter der perforierten Aluminiumhaut schimmert die Stahlkonstruktion hindurch, die Fassadenteile sind grob miteinander verschraubt, der Boden besteht aus billigen Siebdruckplatten, die rote Rampe, die den Teppich ersetzt, aus Gummigranulat. Auch erste Rostspuren unterstreichen den Eindruck: Das ist nicht für die Ewigkeit.

Gerade deswegen spiegeln jedoch wohl nur wenige Bauwerke von Coop Himmelb(l)au so sehr den Geist der Wiener Berufsprovokateure wider wie dieser Pavillon. Schließlich passt der überall sichtbare Hinweis auf die kurze Verweildauer zur Überzeugung des Büros. Die beiden Gründer Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky forderten 1980 nicht nur eine Architektur, "die leuchtet, sticht, fetzt und unter Dehnung reißt", sondern auch eine, die leicht und veränderbar ist wie eine Wolke. Genau darauf spielt ihr Name an. Natürlich ist auch Coop Himmelb(l)au in den vergangenen Jahrzehnten und mit einsetzendem Erfolg erwachsener geworden - wie ihre Großprojekte BMW-Welt und EZB-Bank zeigen. Heute postuliert Wolf D. Prix daher lieber, dass sie Architektur bauen wollen, die "auch im nächsten Jahrhundert Bestand hat".

Zwangsläufig verliert sich da der Furor der Anfangsjahre, mit dem das Büro 1968 gestartet war. Doch wenn sie jetzt, wie in München, wieder für den Moment bauen, dann erinnert das stark an den aufsehenerregenden Dachaufbau in Wien, der Coop Himmelb(l)au berühmt gemacht hat. Die Konstruktion, die an einen wilden Flügelschlag denken lässt, schien ebenfalls nicht für die Ewigkeit gebaut worden zu sein: Nur regelmäßiger Einsatz von dauerelastischer Dichtungsmasse hat die komplizierten Verbindungen wetterfest gemacht.

Im Grunde erinnert damit der Münchner Pavillon auch an all die anderen ersten Bauten der Dekonstruktivisten-Kollegen von Coop Himmelb(l)au: Sieht nicht auch Zaha Hadids Feuerwache in Weil am Rhein so aus, als wolle sie im nächsten Moment wegfliegen - und ist sie nicht sichtlich unangenehm davon berührt, dass ihr dieser Wunsch selbst nach knapp 20 Jahren immer noch nicht gelungen ist?

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