Parteifreie Bürger Grünwald:Nicht ganz der Papa

Parteifreie Bürger Grünwald: Dietmar Jobst (links) ist Vorsitzender der Parteifreien Bürger in Grünwald, Oliver Schmidt (rechts) Chef der Gemeinderatsfraktion.

Dietmar Jobst (links) ist Vorsitzender der Parteifreien Bürger in Grünwald, Oliver Schmidt (rechts) Chef der Gemeinderatsfraktion.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Die Parteifreien in Grünwald feiern ihr 70-jähriges Bestehen und denken wehmütig an die Jahrzehnte zurück, in denen sie im Rathaus das Sagen hatten

Von Claudia Wessel

Grünwald - "Der Papa" pflegt Ludwig Rieger zu sagen, wenn er ein Lob auf Franz Rieger hören lässt, und das ist oft der Fall. Der Papa war so beliebt bei den Menschen, er war ja Leiter des Postamtes, bevor er Bürgermeister wurde, und jeden Morgen ist er zu Fuß das Postbergerl runter ins Rathaus gegangen. Der Papa liebte Harmonie und ließ niemals Menschen auseinander gehen, ohne eine Lösung für alle gefunden zu haben, und vor allem kannte er auch alle, denn damals musste man noch seine Rente auf dem Postamt abholen.

Der Papa hatte auch die geniale Idee, den potenten Gewerbesteuerzahler Siemens AG nach Grünwald zu holen, der viele weitere anlockte, wovon die Gemeinde noch heute profitiert. Er wäre heuer am 7. Mai 100 Jahre alt geworden, wäre er nicht 2004 gestorben, und sein Sohn, 72, nennt ihn noch heute liebevoll beim Kosenamen. Als die Geschichte der Parteifreien in Grünwald begann, war Rieger 30 Jahre alt und der kleine Ludwig zwei. Heuer feiern die Parteifreien ihr 70-jähriges Bestehen in der Gemeinde.

Erstmals traten bei der Kommunalwahl 1948 zwei parteifreie Wählergruppen an, sie nannten sich "Gemeindewohl" und "Wahlfreiheit". Aus diesen beiden Wählergruppen seien dann im Laufe der Zeit die Parteifreien Bürger Grünwald entstanden, erzählt deren heutiger Vorsitzender Dietmar Jobst. Die ersten beiden parteifreien Bürgermeister Martin Kneidl von 1948 bis 1953 (Wahlfreiheit) und Georg Kogler von 1953 bis 1960 (Gemeindewohl) zählen die Parteifreien Bürger Grünwald (PBG), wie sie heute heißen, mit zu ihrer Historie. Die weiteren Bürgermeister waren dann Franz Rieger (1960 bis 1984) und Hubertus Lindner (1984 bis 2002) von den PBG. Die Parteifreien in Grünwald hatten also von 1948 bis 2002 das Zepter in der Hand, mehr als ein halbes Jahrhundert.

Auch Hubertus Lindner, ihr letzter Bürgermeister, der 2002 aus Altersgründen nicht mehr kandidieren durfte, sei vom Politikverständnis ähnlich wie Rieger gewesen, erzählt Jobst. Und diese Eigenschaft sei auch eine Eigenschaft der Parteifreien überhaupt, betont Jobst: Wichtig sei ihnen die Offenheit für andere Meinungen, das Einbinden anderer in das Finden von Lösungen, Kompromissbereitschaft und eine lebhafte Diskussionskultur, gerne auch mit Bürgern.

All das vermissen die Parteifreien laut Jobst seit 2002, denn seither hat die CSU die Mehrheit. Und diese Mehrheit, so Jobst, lasse eben diese Diskussionskultur vermissen. Jüngstes Beispiel sei die Gestaltung der Ortsmitte, also des Luitpoldweges: "Wir bekamen die Unterlagen erst in der Sitzung vorgelegt, in der wir abstimmen sollten." Eigentlich eine Unverschämtheit, findet er. "Aber wir können nicht jedes Mal einen Skandal anzetteln."

Der eigentliche Schock ereignete sich im Jahr 2002

Der Schock, der die Parteifreien in Grünwald vom Thron katapultierte, ereignete sich bereits bei der Wahl 2002, doch er sitzt den Parteifreien noch immer in den Knochen. Dietmar Jobst, seinerzeit Bürgermeisterkandidat, verlor haushoch gegen CSU-Mann Jan Neusiedl, der nach diesem Desaster für die PBG zweimal wiedergewählt wurde, womit er es inzwischen auf 16 Jahre bringt. Kein Wunder, dass die Parteifreien ein Trauma zu bewältigen haben. Und nicht gerade eine große Liebe für den aktuellen Bürgermeister empfinden.

Dem Mann, der ihnen die Macht genommen hat, schauen die Parteifreien deshalb ganz genau auf die Finger. Ludwig Rieger beispielsweise fehlt in keiner Gemeinderatssitzung auf der Zuschauertribüne und vergleicht die Entscheidungen von Jan Neusiedl und seiner CSU-Mehrheit mit der Politik vom Papa - wobei Letzterer immer besser abschneidet. Auch Dietmar Jobst saß jahrelang oben neben Rieger, bis er nach dem Tod von Hubertus Lindner - dieser war nach seiner Bürgermeisterzeit als Gemeinderat ins Rathaus zurückgekehrt - nachrückte und nach unten an den Ratstisch umzog. Jetzt ist er gemeinsam mit seinen drei Gemeinderatskollegen von den PBG dabei, auf die Rückkehr der alten Zeiten und einen neuerlichen Machtwechsel hinzuarbeiten.

Ein Problem dürfte allerdings werden, einen Bürgermeisterkandidaten zu finden. Zwei weitere wurden nach Jobst bereits von Neusiedl besiegt, Helmut Kraus 2008 und Tobias Brauner 2014. Noch verraten die Parteifreien nicht, wen sie für 2020 im Auge haben könnten. Zufrieden wären sie übrigens auch mit einem Bürgermeister Neusiedl, sofern der keine CSU-Mehrheit mehr hätte. Die Opposition bräuchte dazu nur drei Gemeinderatssitze mehr.

Ob es für die Parteifreien jemals wieder so schön wird wie unter Papa oder auch nur wie unter Hubertus Lindner? Der vierte Versuch, Jan Neusiedl zu besiegen, wird jedenfalls vorbereitet.

Gefeiert wird der 70. Geburtstag der Parteifreien am Samstag, 7. Juli, beim Sommerfest von 15 bis 21 Uhr im Garten der Familie von Horst Sedlmair in der Wendelsteinstraße 13.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: