Ottobrunn:Sehnsucht nach den Farben der Freiheit

In "Und der Duft nach Weiß" verbindet Stefanie Gregg zwei Schicksale im Zeichen der bulgarischen Diktatur

Von Udo Watter, Ottobrunn

Die Kälte kriecht durch jede Öffnung des Strickpullis, dringt in jede Pore der Haut, zieht in die Knochen. Ihr Körper ist ausgekühlt, die Gedanken eingefroren, und der Versuch zu schreien mündet in ein kaum hörbares Geräusch, das aus eisiger Kehle röchelt. Ja, vielleicht ist der Tod doch kälter als die Liebe, stärker als die Sehnsucht nach Freiheit und nach den verheißungsvollen Farben. Und doch: Die 17-jährige Bulgarin Anelija, die versteckt im eiskalten Laderaum eines Lasters zwischen Pflaumenkisten sitzt und in den Westen flüchten will, wird an diesem jugoslawisch-österreichischen Grenzort im Jahr 1987 nicht sterben. Ihr Lebenswille erwacht wieder, sie will nach Deutschland, in das "Land der Freiheit", in dem es "Glück gab und Essen und Majka, meine Mutter. Und den Duft nach Weiß."

Diese Sehnsuchtsmetapher ist auch der Titel des neuen Romans der Ottobrunner Autorin Stefanie Gregg. In "Und der Duft nach Weiß" (Ullstein-Verlag, E-Book) erzählt sie zum einen die Geschichte von Anelija, die im oft grauen, kommunistischen Bulgarien aufwächst, und die vom strahlend weißen deutschen Briefpapier, auf dem ihre in die BRD geflüchtete Mutter an die daheim gebliebene Familie ab und an schreibt, magisch angezogen wird. Auf abenteuerlichem Weg gelangt sie schließlich nach München, wo die neue deutsche Familie ihrer Mutter von deren bulgarischer Tochter bisher nichts wusste.

Ottobrunn, Autorin Stefanie Gregg,

"Das Buch liegt mir sehr am Herzen." Stefanie Gregg hat drei Jahre an ihrem dritten Roman gearbeitet.

(Foto: Angelika Bardehle)

Neben der Geschichte von Anelija, die in München studieren und sich verlieben wird, erzählt Gregg in einer Parallelhandlung vom Leben und Schicksal des bulgarischen Schriftstellers Georgi Markow. Kritisch gegenüber dem Regime des Partei- und Staatschefs Todor Schiwkow ist er 1969 ins Exil nach England gegangen und verärgert von da an den alten Gegner mit seinen spöttischen Sendungen auf BBC oder Radio Free Europe. Im Gegensatz zu Anelija sind Markow und Schiwkow, der von 1954 bis 1989 Staatschef in Sofia war, historische Figuren - es gilt als so gut wie sicher, dass Schiwkow das berühmte "Regenschirmattentat" anordnete: ein Mitarbeiter des bulgarischen Geheimdienstes verübte 1978 auf Markow an der Waterloo Bridge in London einen Giftanschlag mit einer vom KGB präparierten Regenschirmspitze. Der Schriftsteller und Dissident starb wenige Tage später. "Es gibt zwei Erzählstränge", sagt Stefanie Gregg, "die politische Dimension und der Blick auf Anelija." Im Laufe des Romans wird deutlich, dass beider Schicksale mehr miteinander zu tun haben als gedacht. Über die Parallelhandlungen hinaus gibt es viele Zeitsprünge, der Plot wechselt zudem oft zwischen Szenarien in Bulgarien, Deutschland oder England. Gregg bedient sich der Montagetechnik, einer an der Idee des Cliffhangers geschulten Erzählweise - die 1970 in Erlangen geborene Autorin hat vor "Und der Duft nach weiß" zwei Krimis veröffentlicht. Ihr mittlerweile dritter Roman ist freilich ambitionierter als ihr Erstling "Bienentod" und "Tod beim Martinszug", ein Ottobrunner Regionalkrimi. "Das Buch liegt mir sehr am Herzen", sagt Gregg.

Rund drei Jahre hat sie an "Und der Duft nach Weiß" geschrieben. Inspiriert wurde sie, etwa zu Anelijas Geschichte, durch Schicksale aus dem persönliche Umfeld. Gregg hat viel recherchiert, sie ist eingetaucht in die Geschichte des kommunistischen Bulgarien, hat neue, teils hochaktuelle Erkenntnisse zum "Regenschirmmord" - der mutmaßliche Mörder ist trotz eindeutiger Indizien immer noch auf freiem Fuß - eingebaut. Es geht um das Leben in einem repressiven Staat, in einer Welt, wo man mit Kleinigkeiten viel falsch machen kann - und wie man damit umzugehen lernt. Es geht um die Auflehnung gegen dieses autoritäre Umfeld, um das Verlangen nach Freiheit, um den Mut, auszubrechen, und um die Liebe zu Geist und Literatur.

Ottobrunn: Bisher nur als E-Book erhältlich: Der Roman "Und der Duft nach Weiß".

Bisher nur als E-Book erhältlich: Der Roman "Und der Duft nach Weiß".

Das ist mit viel Herzblut geschrieben, aber was die stilistische und erzählerische Qualität angeht, ist der Roman nicht durchgehend gelungen. Es gibt eindrückliche Kapitel, in denen die Erlebnisse der Figuren packen, in denen man als Leser mitfiebert - etwa bei Aneljias besagtem Grenzübertritt im eisigen Lastwagen oder wenn ihre Großmutter von der bulgarischen Polizei brutal verhört wird: "Als er den Kopf kurz ruckartig zurücknahm, wusste sie, was kommen würde und konnte zumindest noch die Augen zusammenkneifen, bevor er ihr mitten ins Gesicht spuckte. Sie tat ihm nicht den Gefallen, das bisschen Wasser fortzuwischen. Sie ließ es langsam an ihrer Backe herunterlaufen." Auch die Erlebnisse der jungen Aneljia und ihrer Großmütter nehmen den Leser glaubwürdig mit ins ländliche Bulgarien, obgleich manches da auch bemüht wirkt. Zudem entfalten die Markow/Schiwkow-Kapitel Spannung. Die Episoden mit Anelija und ihrem Freund Enno, den sie beim Studium in München kennen gelernt hat, sind aber selten überzeugend. Die Dialoge wirken wenig geschmeidig und teils sehr bemüht. Zwischen den hoch begabten Freigeistern funkelt wenig, weder erotisch noch intellektuell. Mitunter schrammen auch die Metaphern nicht am Kitschverdacht vorbei ("Wie ein glutroter Teppich verbrannte der Sonnenuntergang den Himmel"). Die Farbe Weiß und der Duft danach wirken in ihrer Symbolhaftigkeit stellenweise allzu bedeutungsschwanger platziert. Zudem mutet nicht alles logisch an: So denkt Aneljia auf Seite 113 darüber nach, dass das deutsche Wort "Sinn" vom mittelhochdeutschen "sin" komme, welches soviel bedeute wie "Gang, Reise oder Weg" - und auf Seite 115 beschließt die junge Bulgarin, überhaupt erst mal Deutsch zu lernen.

Trotz solcher Schwächen ist das etwas ambitioniert geratene Buch lesenswert - nicht zuletzt ob der historisch-politischen Brisanz. Gregg hat von zahlreichen (oft in Deutschland lebenden) Bulgaren viel und positive Resonanz bekommen. Im November wird sie im Bulgarischen Kulturinstitut Berlin lesen. Ob sie bald noch eine Lesung in ihrer Heimatgemeinde Ottobrunn hält, ist offen. Ebenso, ob der Roman demnächst auch in einer Print-Version erhältlich ist. Beim Schmökern in "Und der Duft nach Weiß" muss der Leser derzeit also noch auf den Duft von Papier verzichten.

Der Roman "Und der Duft nach Weiß" ist bei Forever, einem Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, erschienen - zunächst als E-Book - und ist erhältlich bei allen Internet-Buchhandlungen.

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