Ottobrunn:Geisterwelten auf wankendem Boden

Ottobrunn, Rathaus, Kunstverein Ottobrunn e.V. veranstaltet wieder die Offene Ausstellung ARTiges, die alle zwei Jahre stattfindet,

Merlin Ortner aus Teltow wurde für seine Bilder ausgezeichnet.

(Foto: Angelika Bardehle)

Bei der Ausstellung "ARTiges" des Kunstvereins Ottobrunn entführt der Fotograf Merlin Ortner die Besucher in eine Welt zwischen Realität und Fantasie. Die Exponate von insgesamt 21 Künstlern sind noch bis Ende Mai im Rathaus zu sehen.

Von Laura Zwerger, Ottobrunn

Ganz an die Brust gezogen und kaum erkennbar ist das Gesicht der Skulptur. Ganz in den japanischen Butoh-Tanz scheint der Tänzer vertieft zu sein. "Es ist ein Ausdruck dafür, dass nur die Seele spricht", sagt Veronika Schattenmann. Sie ist die künstlerische Beraterin bei der Ausstellung "ARTiges" im Ottobrunner Rathaus. "Jedes Werk hat sein eigenes Leben und ist ein Reich für sich", erklärt sie bei der Eröffnung der Ausstellung des Kunstvereins Ottobrunn. "Alle Werke hier erzählen erlebte, erlittene oder erträumte Geschichten - wenn man sich auf die Werke einlässt, dann steht man plötzlich auf wankendem Boden."

Neben der Skulptur des verschlungenen Tänzers werden insgesamt 52 Exponate von 21 Künstlern über drei Wochen ausgestellt. Seit 2004 findet die Ausstellung alle zwei Jahre statt, dieses Jahr musste die Jury zwischen 147 Künstlern aus ganz Deutschland entscheiden. "Noch nie zuvor haben sich so viele Künstler beworben", freut sich die Zweite Bürgermeisterin der Gemeinde, Monika Modrow-Lange.

Ein Künstler aus dem brandenburgischen Teltow ist mit seinen Fotografien in diesem Jahr besonders herausgestochen: Merlin Ortner zeigt in seiner ausgezeichneten Bilderserie "Geister" eine Welt zwischen Realität und Fantasie. "Es geht um die Frage, was Wirklichkeit ist", sagt der 33-Jährige. Er hat Freie Kunst in Berlin-Weißensee studiert, nebenbei beschäftige er sich viel mit Neurologie und der menschlichen Wahrnehmung. Zwischen alten Gemäuern in Görlitz ist ihm dann die Idee zu der jetzt ausgestellten Geister-Serie gekommen.

Ottobrunn, Rathaus, Kunstverein Ottobrunn e.V. veranstaltet wieder die Offene Ausstellung ARTiges, die alle zwei Jahre stattfindet,

Mit ihrem "Südseehafen" ist Maria Weber in Ottobrunn bei der Ausstellung "ARTiges" im Rathaus vertreten.

(Foto: Angelika Bardehle)

Durch Lichteffekte und eine lange Belichtungszeit hat er die Geisterwelt in seinen Bildern aufleben lassen und hat dabei ein ganz besonders Wesen geschaffen: "Der Geist ist in jedem Bild eine starke Frauenperson", erklärt Ortner. "Womöglich ist sie eine Revolutionsanführerin, die immer auf der Suche nach etwas ist."

Wonach, das verrät der Künstler aber nicht, sondern er lässt es in jedem seiner Werke nur erahnen: In dem Bild "Jules" hält der schemenhafte Geist der Frau einen Brautstrauß in der einen Hand und scheint mit der anderen Hand den Mann vor ihr berühren zu wollen. "Vielleicht war es ihr Ehemann", sagt Ortner. Der Fantasie soll freien Lauf gelassen werden.

Besonders ausdrucksstark findet der Künstler sein Werk "Liberté", in dem der Geist auf einer kleinen Holzempore in einem lichtdurchfluteten Zimmer steht. "Durch die Komposition und die Stimmung in dem Bild wird gleichzeitig die Stärke sowie die Fragilität der Frau sichtbar", sagt Ortner. "Dabei bleibt ihr Gesicht durch einen Lichtstrahl jedoch verborgen."

Boxkamera von 1905

Seine Bilder formt und plant der Künstler wochenlang im Kopf, bevor er ihnen mit seiner Boxkamera von 1905 Gestalt verleiht. Eine lange Belichtungszeit erschafft dann ein schemenhaftes Bild, in dem eine Bewegung der Frau in einer sonst stillen Szenerie gefangen wird. Meist knipst Ortner einen kompletten Film pro Motiv und wählt zum Schluss jeweils eines aus.

So sind im vergangenen Sommer acht Bilder entstanden, die er nun in seiner Serie "Geister" ausstellt. "Jedes Bild ist dabei ein Schnappschuss", sagt Ortner. "Es ist nicht beeinflussbar zuvor." Besonders auf die Authentizität der Bilder legt er Wert - bis auf kleinere Kontrast- oder Helligkeitsverbesserungen ist keines der Bilder bearbeitet. "Auch Störfelder wie falsche Schärfenverlagerungen, die man mit dieser Kamera nicht beeinflussen kann, gehören dazu", erklärt er.

Ottobrunn, Rathaus, Kunstverein Ottobrunn e.V. veranstaltet wieder die Offene Ausstellung ARTiges, die alle zwei Jahre stattfindet,

Jüngste Ausstellerin ist die 15-jährige Greta Derichs, die ihre Werke außer Konkurrenz zeigt.

(Foto: Angelika Bardehle)

Die restlichen fünf Bilder der Serie wird Merlin Ortner dann im Oktober in einer Einzelausstellung in der Galerie des Kunstvereins Ottobrunn ausstellen, dies ist Teil des Gewinns. Und auch für die nächste Serie hat er bereits eine Idee: Er möchte die neurologischen Grundzüge von Serienmördern beleuchten und der Frage nachgehen, ob nicht jeder zu eben solch einem werden könnte. "Die Kunst ist nämlich dann am besten, wenn sie die Menschen bewegt", sagt Ortner. "Wenn man Wissenschaft mit Kunst koppelt, dann wird sie erst erklärbar für den Menschen."

Einen besonderen Blick für Kunst hat auch Christine Renner. Sie fotografiert den Verfall von Architektur - ganz gleich, ob es ein rostiger Zaun oder wie auf einem der bei "ARTiges" ausgestellten Bilder eine heruntergekommene Fabrikanlage ist. Anhand der Fotos malt sie die Motive dann in ihrem Atelier in Neubiberg und konzentriert sich dabei auch auf womöglich unscheinbare Orte. "Mich interessiert das, was üblicherweise nicht als schön angesehen wird", sagt Renner.

Die jüngste Künstlerin ist erst 15

Im herkömmlichen Sinne schön sind auch die Bilder von Greta Derichs nicht - doch eben durch diese künstlerische Freiheit haben die drei Portraits von Frauenköpfen eine besondere Aussagekraft. "Ich drücke in meiner Kunst meine Gefühle aus", sagt die 15-jährige Künstlerin.

Sie ist die jüngste Teilnehmerin der Ausstellung, steht daher auch außer Konkurrenz um den Preis der Ausstellung. Sie besucht noch die zehnte Klasse des Theresiengymnasiums in München, malen gehört aber unumgänglich zu ihrem Alltag. "Ich baue dadurch negative Gefühle ab und es hilft mir, mit Situationen besser umzugehen, in denen ich sonst nicht weiterwüsste", erklärt sie.

Betrachtet man die Bilder der jungen Künstlerin, so lösen sie unterschiedliche Emotionen aus. Und eben solche Werke, die trotz starker Aussagekraft dem Besucher dennoch eine individuelle Interpretation bieten, geben der Ausstellung "ARTiges" in diesem Jahr ihren Charakter.

"Nehmen wir die Ausstellung als eine Chance wahr, sich ein Bild zu machen und sich auf etwas einzulassen, was jeder selbst deuten kann", sagt Beraterin Veronika Schattenmann. "Was Kunst wirklich ausmacht, ist schwer zu erklären - wenn im Betrachter aber etwas ausgelöst wird, dann ist das schon sehr nahe an Kunst dran."

Die Ausstellung "ARTiges" des Kunstvereins Ottobrunn kann vom 5. bis 27. Mai im Rathaus Ottobrunn besucht werden. Die Ausstellung ist unter der Woche von 8 bis 12 Uhr und donnerstags zusätzlich von 14 bis 18 Uhr sowie samstags, sonn- und feiertags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: