Großes Theater:Doktor Faustus auf Achse

Lesezeit: 4 min

Thomas Fischer ist Puppenspieler wie sein Vater und sein Großvater vor ihm. (Foto: Claus Schunk)

Vor 20 Jahren hat Thomas Fischer das Kasperltheater seines Vaters übernommen und begeistert Kinder in der ganzen Republik. Doch er will auch Erwachsene überzeugen - mit gruselig-witzigem Stoff

Von Christina Hertel, Ottobrunn

Thomas Fischer hat um die 200 Kinder. So genau kann er es gar nicht sagen. Manche sind älter als er selbst. Viele kommen aus fernen Ländern. Andere haben schon ein paar Mal den Beruf gewechselt. Da ist ein faltiger Sultan mit Turban. Eddi, der Feuerwehrmann mit Helm und Anzug. Gretel, inzwischen Prinzessin - mit rosa Bäckchen und Spitzenkleid. Und der Kasperl mit langer Nase, Bommelmütze, breitem Grinsen. Thomas Fischers Kinder sitzen nebeneinander in seinem Arbeitszimmer, stumm, bis er ihnen seine Stimme leiht. Thomas Fischer ist der Kasperl Fischer, Puppenspieler wie sein Vater und dessen Vater vor ihm.

Vor seinem Haus in Ottobrunn steht ein gelber Anhänger, sein mobiles Kasperltheater. Mit ihm fährt er durch ganz Deutschland. In Dresden war er dieses Jahr, in Erlangen und in Regensburg. Am Donnerstag tritt er bei sich daheim in Ottobrunn auf. Die Leute kennen ihn, sagt er. Vom Weihnachtsmarkt und Straßenfest.

Trotzdem ist er gespannt. Denn das Stück ist nicht für Kinder, sondern für Erwachsene. "Dr. Johann Fausts Leben und Höllenfahrt", heißt es. "Wenn ich für Kinder spiele, lachen die Eltern immer mit", sagt Fischer. Aber, ob sich Menschen, die aus dem Kasperl-Alter eigentlich schon längst raus sind, auch ohne ihre Kleinen auf den Weg machen? Und dann auch noch zu einem Stück, bei dem wohl so mancher mit Gruseln an den Deutschunterricht in der Schule denkt? Fischer ist optimistisch.

Er wartet auf den Tag, an dem er als Erwachsener aufwacht

Er wirkt auch wie einer, der sich nicht schnell die Laune verderben lässt. Er hat einen großen Schnauzer, rote Backen, Glatze, erzählt, dass er früher in Fernsehserien manchmal korrupte Politiker oder bayerische Grantler gespielt hat. Aber eigentlich kommt er doch eher rüber wie der liebe Papa, der seinen Kindern keinen Wunsch abschlagen kann. Fischer ist 53 und sagt, er warte immer noch auf den Tag, an dem er aufwacht und plötzlich erwachsen ist.

In Fischers Arbeitszimmer liegt ein Buch mit vergilbtem Einband und schnörkeliger Schrift. Zwei Jahre brauchte Fischer, um sie zu entziffern. "Mein Opa hat das geschrieben", sagt Fischer. Es ist eine Abschrift von Karl Simrocks Puppenspiel "Doctor Johannes Faust", aber eben in einer Version von Fischers Großvater. Schneller, zackiger, meint er. Und nicht zu verwechseln mit Goethes Faust. Der Dichter hat wohl selbst das Puppenspiel als kleiner Junge gesehen und sich davon für sein Drama inspirieren lassen. Die Grundzüge sind gleich: Der Gelehrte Faust schließt einen Pakt mit Mephistopheles, dem Teufel. Aber beim Puppenspiel gibt es auch einen Kasperl, verantwortlich für den Witz und cleverer als der gebildete Faust.

Schon Fischers Großvater spielte mit den Faust-Puppen. Eine schwarz-weiß Aufnahme von ihm hängt ihm Wohnzimmer. Er sieht aus wie eine Retro-Version von Thomas Fischer: Stämmiger Typ, großer Hut, großer Schnauzer. Max von Heede hieß er, sollte eine Brauerei erben, wollte aber nur Theater spielen. Heimlich ließ er sich einen Wagen bauen. Zum Geburtstag wünschte er sich von seinen Eltern noch ein paar Pferde. Und war plötzlich auf und davon und zog als Puppenspieler umher. Max von Heede heiratete eine Josephine Fischer. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Ehe annulliert. Und Heedes Sohn Franz nahm den Namen seiner Mutter an. Auch er wurde Puppenspieler und führte den Faust auf. So erzählt Fischer es.

Es gibt Quarkbällchen und Kaffee. "Wir könnten adelig sein", sagt Fischers Frau Monika, Hündchen auf dem Arm, Angelo, 15 Jahre alt und dement. "Ach, ich bin der Kasperl Fischer und dabei bleibt es", antwortet Thomas Fischer. 30 Jahre sind er und seine Frau verheiratet. Als sie in den Kindergarten ging, trat dort immer Fischers Vater auf. Auch von ihm hängt ein Bild an der Wohnzimmerwand. Weiße, strubbelige Haare, kein Schnauzer.

Der Vater hatte immer Angst vor der Konkurrenz

"Mit Weinkorken im Mund musste ich als Junge sprechen üben und singen", sagt Thomas Fischer. Der Vater habe ihn manchmal vormittags aus der Schule geholt, damit er ihn auf einen Auftritt begleiten konnte. Am Wochenende seien sie immer zusammen unterwegs gewesen. Dann kam sein 15. Geburtstag, er war mit der Schule fertig. "Ich dachte jetzt geht es los. Und wir ziehen beide als Puppenspieler herum." Doch der Vater habe das nicht gewollt. "Ich war stinksauer."

Danach hatte Thomas Fischer viele verschiedene Berufe und keinen Kontakt mehr zum Vater - 15 Jahre lang. "Aber das mit den Puppen", sagt er, "war nie vorbei." Und klingt, als spreche er von einer verflossenen Liebe. Fischer übte für sich, trat in Kleinkunstbühnen auf. Dann kam ein Anruf der Mutter. "Vater hat sich den Arm gebrochen. Kannst du einspringen?", fragte sie. Fischer sprang ein, immer öfter, wenn es dem Vater nicht gut ging. "Aber da war immer eine Wand zwischen uns, bis zu seinem Tod", sagt Fischer. "Er hatte immer Angst vor der Konkurrenz. Dass du besser sein könntest als er", sagt seine Frau. Dann schweigen beide.

Der Vater ist 20 Jahre tot. Seitdem lebt Fischer vom Puppenspielen. Aber ist den Kindern heutzutage Kasperltheater nicht viel zu langweilig? Wenn sie im Internet die ganze Welt anschauen können? "1950 gab es einen Zeitungsartikel. ",Muss Kasperl sterben?', war der Titel", sagt Fischer. Aber den Kasperl, den Seppl und die Gretel gebe es immer noch. "Sie haben das Fernsehen überlebt, die Playstation und das Internet." Das liege daran, dass die Kinder beim Kasperltheater mitspielen. "Der Kasperl antwortet, aber der Fernseher nicht. Ich frage die Kinder, was mit dem bösen Krokodil passieren soll. Und die schreien dann herum." Doch die Zeiten, in denen der Kasperl das Krokodil mit einer Fliegenklatsche erschlagen hat, seien vorbei. "Heute kommt es in den Tierpark."

Kasperl Fischer führt das Stück "Dr. Johann Fausts Leben und Höllenfahrt" am Donnerstag, 26. Oktober, im Ratssaal des Wolf-Ferrari-Hauses auf. Beginn ist um 19 Uhr.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: