Online-Portal "Nachtagenten":Das Feiern der anderen

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Auf der Suche nach der perfekten Party: Robert Solansky, Erfinder des Online-Portals "Nachtagenten", lässt seit zehn Jahren Menschen beim Feiern ablichten. Längst bietet er mehr, als nur eine Fotoseite.

Philipp Crone

Die Taktik des Agenten lautet: Einkreisen, ansprechen, ablichten - aber sie geht erst einmal nicht auf. Philipp Stengelin, 20, ein schmächtiger blasser Mann mit kurzen dunklen Haaren, steht am Samstagnacht um ein Uhr im Vice-Club an der Kaufingerstraße. Die Hip-Hop-Beats krachen, die Gäste tanzen, er sucht nach den schönsten Frauen.

Verdient sein Geld mit Partyfotos: Robert Solansky, Geschäftsführer und Gründer der Nachtagenten. (Foto: sonstige)

Stengelin ist Fotograf für das Onlineportal der Nachtagenten. Er macht an diesem Abend auf drei Veranstaltungen insgesamt 277 Fotos mit seiner Kamera, ist um vier Uhr daheim und seine Bilder um sechs Uhr online. Er dokumentiert das Feiern der anderen, seit dreieinhalb Jahren, so wie etwa 60 bis 70 weitere Event-Fotografen, die es in München gibt. Das Leben wird am Tag bei Facebook dokumentiert, und nachts mit Fotos, etwa von den Nachtagenten.

Die drei schönsten Frauen des Abends lehnen an einem Tisch, Stengelin geht an ihnen vorbei, spricht zwei andere an, fotografiert sie, geht wieder an den Dreien vorbei, spricht in der anderen Ecke zwei Frauen an, fotografiert sie, gibt ihnen einen Flyer, dann geht er zu den Dreien und spricht sie an. Aber sie wollen nicht. "Mist, da habe ich mich verpokert", sagt er. Dann wartet er eben.

Ablichten und Ansprechen. Stengelin macht jeden Abend das, was Robert Solansky nicht kann. Solansky ist Chef und Gründer der Nachtagenten. Der 41-Jährige kann dafür andere Dinge sehr gut, sonst wäre seine Idee nicht so erfolgreich, hätte keine Nachahmer. Und: Seine Seite würde monatlich nicht etwa acht Millionen Mal aufgerufen.

Solansky sitzt am Montagnachmittag auf dem Balkon seines Büros, im ersten Stock eines Gebäudes auf dem Optimolgelände. Drinnen durchstöbern Stengelin und fünf weitere Mitarbeiter an ihren Rechnern das Netz nach Veranstaltungen und Anregungen. Solansky ist braungebrannt vom regelmäßigen Golfen. In kurzer Hose und T-Shirt blickt er auf das Gelände. "Ich liebe Zahlen", sagt er. Das ist der eine Teil seines Erfolgs. Solansky hat immer eine Zahl parat. Die erste ist: sechs.

Sechs Jahre hatte er nach dem Studium der Elektrotechnik in der IT-Branche gearbeitet und ein Online-Shopping-Portal aufgebaut, als er im Jahr 2000 etwas Neues machen und sein eigener Herr werden wollte.

Er beschloss, Webseiten zu verkaufen und die Seite der Nachtagenten zu gründen. "Denn das war ja noch die Zeit der Flyer. Wer nicht regelmäßig unterwegs war und Flyer bekam, der wusste nicht, wo die guten Partys sind." Und gleichzeitig fiel ihm auf, dass er, wenn er mit seinen Leuten wegging, immer ein paar Tage später die analog entwickelten Bilder anschaute, die einer von der Nacht gemacht hatte. "Das war ein einziges Lachen und Lästern."

Zwei Ansätze, eine Webseite. Dazu Zahl zwei: 1,3. So viele Megapixel hatten die ersten Digicams, mit denen Solansky drei Damen 2001 losschickte. "Es mussten Frauen sein, denn von denen lassen sich alle gerne fotografieren und die können leichter jemanden ansprechen."

Die Idee funktionierte, manche stürzten sich regelrecht auf die Fetenknipser, deren Bilder weder gut noch schlecht sind, sie zeigen meist das Gleiche: Porträts oder Party. Die Kameras wurden besser und schwerer, "deshalb sind nun vor allem Männer im Einsatz, Frauen wollen die großen Geräte nicht mehr mit sich herumschleppen", sagt Solansky.

Am Anfang wurden die Fotografen noch mit Freigetränken entlohnt. Seit es Konkurrenten wie "Clubstars" oder "Partygänger" gibt, kommen zum freien Eintritt und Gratis-Getränken Honorare dazu, 18 Euro bekommt Stengelin im Schnitt für eine Fotoserie, drei sind es am Samstag.

Hübsche Frauen ansprechen, überall reinkommen, "das macht Spaß". Die meisten Nachtagenten sind Studenten. Das einzige, das Stengelin stört, "sind diese blöden Stempel". Manchmal hat er beide Arme voll, wenn er mit der Arbeit fertig ist. Mittlerweile stellen 150 Fotografen aus 13 Regionen ihre Bilder online, wer sich registriert, kann - so wie Solansky früher - die Bilder kommentieren oder sie mit seinem Facebook-Profil verbinden.

Die nächste Zahl von Solansky: 3000. So viele Neuanmeldungen hat die Seite im Monat, dreihundert melden sich ab. Firmen und Clubs bewerben den Onlineauftritt gleichermaßen. Insgesamt 5000 Veranstaltungen in einer Woche sind aufgelistet. Und selbst vom ersten Abend 2001 sind noch alle Bilder zu sehen. "Da kann man die Veränderung der Mode verfolgen", sagt Solansky. "Mit meinen Hemden von früher bin ich heute unglücklich."

Heute trägt er T-Shirts mit Urwald-Aufdruck und wirkt entspannt. Das war am Anfang anders. Da hieß eine weitere Zahl: 35, 35 Kilogramm. So viel nahm er zu in der Startphase. Erst als er die Frau kennenlernte, mit der er nun verheiratet ist und außerhalb Münchens in einem Haus wohnt, ging es wieder bergab mit dem Gewicht.

Der passende Sport für ihn ist das Golfen. "Da geht es permanent um das Handicap, um Punkte, man muss immer rechnen." Und wenn Solansky joggen geht, dann wertet eine GPS-gesteuerte Uhr Geschwindigkeit, Strecke und Puls aus. Den Lauf kann er sich später auf einer Google-Earth-Karte ansehen.

Und so stellt er sich auch die Zukunft seiner Branche vor. Die Zahl dazu: 0,5. In einem halben Jahr, glaubt Solansky, werden erstmals mehr Nutzer seinen Dienst von einem portablen Gerät, wie einem Handy, abrufen.

Von unterwegs wird entschieden, wo der Weg hinführen soll. Und dann kommt der nächste Schritt, eine "Heat-Map". Da sind dann auf einer Karte Punkte zu sehen. "Als Beispiel: Rot sind deine etwa bei Facebook registrierten Freunde, blau sind alle Singles markiert. Man wird also entscheiden, wo man hingeht, je nachdem, wo die Freunde sind." Und bald schreibt man per Handy dem blauen Punkt gegenüber an der Bar eine kurze Nachricht, weil man sich nicht traut, ihn anzusprechen, vermutet Solansky.

Er selbst geht kaum mehr weg, sein Punkt umkurvt stattdessen Parks und Greens. Und dabei überlegt Solansky, wie sich sein Portal verändern und entwickeln muss. Bruder Alan kümmert sich um die juristischen Belange, gerade hat er viel mit dem Medienhaus Burda zu tun, das sich an den Nachtagenten beteiligt hat.

Fotos sind heute nur noch ein Teil des Angebots. Mittlerweile wird über Mode und Musik geschrieben, gibt es Tipps, Spiele und eine Redaktionskonferenz, an diesem Montag in der Küche des Büros, mit sechs Teilnehmern. Jeder erzählt, was er erlebt hat - mit Hingabe. "Wir hatten am Samstag mehr Fotoserien als Clubstars", sagt Stengelin. Im Bullit waren nur vier Leute. Die Reihe "Karotte" im Harry Klein war wie immer voll, im P1 hingegen kaum was los.

Das Pro7-Magazin taff begleite die Nachtagenten am Wochenende, wird verkündet - und man diskutiert über das neue Musik-Blog "Droppz". Solansky schafft es, seine Truppe zu motivieren, Tag und Nacht. Ein Büro im Nirgendwo, schwer erträgliche Arbeitszeiten, aber hier herrscht ununterbrochen Aufbruchstimmung.

Die letzte Zahl: 20. Solansky sieht sich in 20 Jahren auch noch als Nachtagent. "Der Reiz ist es einfach, die perfekte Party zu finden oder den perfekten Abend und das den Leuten anzubieten. Denn da sucht jeder etwas anderes." Irgendwann will er alle Aspekte der Freizeitgestaltung abdecken, auch die, die dann Senioren wie ihn interessieren. Und er wünscht sich ein Kind. Das wird dann früh morgens auf dem Handy als blauer Punkt in der Stadt aufscheinen, während ein anderer außerhalb auf einem Golfplatz blinkt.

© SZ vom 14.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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