Oberhaching:Virtuose Echos aus der Jazz-Ära

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Zum Auftakt des 10. Oberhachinger Classic Jazz Festivals präsentieren Sophie von Kessel und Dominic Raacke mit Isabel und Bernd Lhotzky eine szenisch-musikalische Lesung über F. Scott und Zelda Fitzgerald und ihre Zeit

Von Udo Watter, Oberhaching

Es gibt unangenehmere Erfahrungen, als in einem Sessel zu sitzen, und mit stilvoll übereinander geschlagenen Beinen geistreiche Dinge sagen zu dürfen. Dominic Raacke genoss es jedenfalls sichtlich, auf der dezent in dunklem Blau und samtenem Rot illuminierten Bühne der Oberhachinger Bürgersaals zu residieren, in der Rolle von F. Scott Fitzgerald essayistische Bonmots und Beobachtungen à la "Wir hielten Sparsamkeit für reine Zeitverschwendung" von sich zu geben - und zwischen den Textpassagen versiert vorgetragenen Jazz-Arrangements zu lauschen.

Der leicht aristokratische Habitus, das Schmunzeln und lässige Mitwippen der Finger im Rhythmus von Klassikern wie Cole Porters "Let's do it" oder Gershwins "Rhapsody in Blue" vermittelte den Eindruck, der vor allem als Berliner Tatort-Kommissar bekannt gewordene Schauspieler wusste den musikalisch wie literarischen Zeitsprung in das "Jazz-Age" der Zwanzigerjahre auch als persönliches ästhetisches Erlebnis zu schätzen.

Seine Lese-Partnerin zum Auftakt des 10. Oberhachinger Classic Jazz Festivals war die Schauspielerin Sophie von Kessel, die vornehmlich in der Rolle der Zelda Fitzgerald fungierte, einer extravaganten Südstaaten-Schönheit, die gleichsam eine in der Hitze von Alabama erworbene Kühle verkörperte. Der Abend stand unter der Maxime "Echos des Jazz Age - F. Scott und Zelda Fitzgerald" und komplettiert wurde die szenisch-musikalische Lesung von Isabel und Bernd Lhotzky, den künstlerischen Leitern des Festivals, die an zwei Flügeln Jazz-Klassiker, aber auch Werke klasssicher französischer Musik des 20. Jahrhunderts von Ravel oder Satie darboten.

Das Konzept des Projekts, das im Bürgersaal als Vorpremiere zu erleben war, stammt unter anderem von der langjährigen Oberhachinger Kulturamtsleiterin Eva Hofmann, die für die Textauswahl verantwortlich zeichnete. Man darf sagen, es war ein stimmungsvoller und inspirierender Abend, an dem diese Zeit voller nervöser Energie und Exaltiertheit, Kunst, Sex, Tanz und des Aufbruchs zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem "Schwarzen Donnerstag" im Oktober 1929 wieder lebendig wurde. F. Scott Fitzgerald, der den Begriff "Jazz Age" prägte und mit "Der große Gatsby" der Epoche ein herausragendes Denkmal setzte, ist nicht nur literarisch eine Schlüsselfigur. Mit seiner Frau Zelda führte er ein glamouröses und zügelloses Leben, in dem sich exemplarisch Glanz und Nachtseiten seiner Zeit widerspiegelten. Anhand von Briefen, Essays, Romanen, Interviews und Erinnerungen ließen von Kessel und Raacke ein Porträt der Epoche, aber auch die Geschichte dieses faszinierenden Paares erstehen, dessen Schlusskapitel indes tragisch war. "Zwei Glückssterne" waren sie zu Beginn oder wie Zelda schrieb, "zwei sensationell leuchtende Bilder, die nun in der Galerie des Lebens nebeneinander hängen". Klug, attraktiv, begabt, die Celebrities der Goldenen Zwanziger, ob in New York oder in Paris, wo die Fitzgeralds im Kreis der "Lost Generation" um Ernest Hemingway, John Dos Passos oder Dorothy Garner lebten.

Zelda galt als eines der ersten "Flapper Girls" - junge Frauen, die kurze Röcke und kurzes Haar trugen, Jazz hörten, rauchten, tranken und offensiv mit ihrer Sexualität umgingen. Die Beziehung zwischen dem Schriftsteller und seiner Frau und Muse war freilich auch schwierig. Er war Alkoholiker und sie zeigte schon früh Anzeichen von Launen und Verrücktheiten, die später in einen Nervenzusammenbruch mündeten und sie viele Jahre in Nervenheilanstalten führten. Ihr "Wahnsinn" und der "Alkoholismus" von F. Scott hätten auch dazu geführt, ihren "Mythos" zu steigern, schrieb die Enkelin Eleanor Lanahan.

Neben ihr kamen auch andere Wegbegleiter der Fitzgeralds zu Wort. Hemingway etwa schrieb, Zelda sei nur glücklich, wenn sie ihren Mann vom Arbeiten abhalten könne und "sie stritten sich, weil er sich nicht betrinken wollte". John Dos Passos vermerkte, Zelda sei verrückt. Das äußerte sich in Aktionen, wie nächtliche Sprünge aus zehn Metern ins Meer, zu denen sie ihren Mann animierte. Geldprobleme, Rausch, der Tanz am Abgrund, und schließlich das Ende der Maßlosigkeit. "Irgendjemand hatte gepfuscht und die größte Orgie der Menschheit war vorbei."

Von Kessel und Raacke lasen eindringlich, der Schauspieler unterstrich auch gestisch, von Kessel entfaltete unter äußerer Kühle innere Anteilnahme. Die Lhotzkys zeigten sich an den Flügeln als virtuose Begleiter, Bernd Lhotzky als der rhythmisch akzentuiertere und mehr Swing entfaltende, Isabel überzeugte mit ihrem weichem Spiel etwa bei Eric Saties "Gymnopedie". Die musikalische Auswahl war gelungen, neben Gershwin, Porter oder Bix Beiderbecke waren auch Arrangements von Bernd Lhotzky zu hören. Und obwohl die Geschichte der Fitzgeralds traurig endet - F. Scott stirbt 1940 nach zwei Herzinfarkten, Zelda kommt 1948 bei einem Brand in einem Hospital ums Leben, klingt der Abend mit "Spring Fever" von Rube Blooms fröhlich und lebensbefeuernd aus. Wohl auch im Sinne der Fitzgeralds, die das Leben im Jetzt und in vollen Zügen genossen.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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