Obdachlosigkeit:Und raus bist du

Obdachloser

Soweit soll es erst gar nicht kommen. Die vor zehn Jahren gegründete Fachstelle arbeitet präventiv.

(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Hohe Wohnkosten fordern ihren Tribut: Wer nicht mehr mithalten kann, droht auf der Straße zu landen. Die Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit betreut heute dreimal so viele Menschen wie vor zehn Jahren

Von Hannes Putfarken

Gefühlt stand er mitten im Leben. Wolfgang R. hatte eine Familie und arbeitete als Ingenieur für internationale Firmen. Zuhause war er wegen der vielen beruflichen Reisen aber kaum noch. Eines Tages hatte seine Frau das Warten auf ihn satt und zog mit dem gemeinsamen Sohn aus der Doppelhaushälfte aus.

Die Scheidung samt Unterhaltsforderungen kostete Wolfgang R. viel Geld. Irgendwann konnte er sich das Haus alleine nicht mehr leisten, und es folgte die Räumungsklage. "Plötzlich war ich obdachlos und saß im Container der Gemeinde", erzählt Wolfgang R.. Er wirkt, als könne er immer noch nicht richtig begreifen, wie schnell das alles ging.

Bereits seit zehn Jahren gibt es die Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit (FOL) für den Landkreis München. Seitdem haben sich weit mehr als 17 000 Personen zur Beratung bei der von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) getragenen Einrichtung gemeldet, darunter auch knapp 5500 Kinder. Und die Gefahr, wie Wolfgang R. das Zuhause zu verlieren, hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Wurden 2007 nur etwa 500 Fälle bei der FOL bearbeitet, waren es im vergangenen Jahr fast drei mal so viele. Trotzdem hat es die Fachstelle geschafft, insgesamt 70 Prozent ihrer Fälle zu lösen. Sprich, Wohnungen zu erhalten oder notfalls auch neuen Wohnraum zu finden.

Vermittlung zwischen Mietern und Vermietern

Das Schicksal von Wolfgang R. ereilt im Landkreis München immer mehr Menschen und zunehmend solche mit Beruf, deren Einkommen zum Leben nicht ausreicht. Mittlerweile machen diese einen ebenso großen Anteil der Klienten der Fachstelle für Obdachlosigkeit aus wie die, die Unterstützung vom Staat bekommen. Auch Wolfgang R. griff die Fachstelle unter die Arme. Stefan Wallner kümmert sich dort mit seinem Team um diejenigen, die kurz vor der Obdachlosigkeit stehen.

Ihre Aufgabe ist es, die Mieter bei Schwierigkeiten in ihren Wohnungen zu halten. Dazu versuchen sie, zwischen Mietern und Vermietern zu vermitteln, bevor die Betroffenen obdachlos werden und kümmern sich auch um andere Baustellen der Betroffenen, wie zum Beispiel Alkoholabhängigkeit. "Menschen verdrängen ihre Probleme gerne und stecken diese dann in Schubladen, bis sie plötzlich ohne Wohnung dastehen", meint Wallner, "das kann jeden treffen." Deshalb sei es umso wichtiger, rechtzeitig Hilfe zu suchen und nicht erst, wenn die Räumungsklage im Briefkasten liege. "Wenn man erst mal in einer Obdachloseneinrichtung gelandet ist, das macht was mit einem", ist sich Wallner sicher.

Außerdem ist es dann um ein Vielfaches schwieriger, aus der Obdachlosigkeit wieder herauszukommen. Denn für Obdachlose gibt es beispielsweise weit weniger Hilfestellen. Nur neun von 29 Städten und Gemeinden im Landkreis München bieten Beratungen für Obdachlose an.

Deshalb versucht die Wohnungsnotfallhilfe, möglichst frühzeitig mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Dafür bietet sie außer Sprechstunden in den Gemeinden auch eine telefonische Beratung und zunehmend auch immer mehr Hausbesuche an, um Zwangsräumungen um jeden Preis zu verhindern. Gleichzeitig pflegt die FOL einen engen Kontakt zu den Vermietern. Denn in den meisten Fällen hätten die Vermieter gar kein Interesse daran, eine Räumungsklage zu erwirken, berichtet Wallner aus seiner langjährigen Erfahrung.

Der Sieslungsdruck verschärft die Situation

Anlässlich der Feier zum zehnjährigen Bestehen der Fachstelle zeigte sich Landrat Christoph Göbel am Donnerstag von dieser Erfolgsquote beeindruckt: "In den letzten Jahren wurde unglaublich tolle und wertvolle Arbeit geleistet. Man kann jedem Mitarbeiter nur einzeln dafür danken." Und der Einsatz der Mitarbeiter rund um Stefan Wallner lohnt sich für den Landkreis auch in finanzieller Hinsicht. Denn letztlich müssen die jeweiligen Gemeinden für die Unterbringung von Obdachlosen aufkommen. Indem den Betroffenen geholfen wurde, blieben den Städten und Gemeinden im Landkreis bisher Kosten in Höhe von über 2,5 Millionen Euro erspart.

Für Stefan Wallner und sein Team wird die Arbeit in Zukunft aber nicht leichter. Denn wie Landrat Göbel prophezeite, wird der Siedlungsdruck im Landkreis weiter zunehmen. Den fehlenden günstigen Wohnraum macht Max Wagmann, Vorsitzender des Präsidiums der Awo, als größtes Risiko im Landkreis aus, sozial abzustürzen. "Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Behörden und Kommunen läuft vorbildlich aber es muss in Zukunft mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Andernfalls wird es immer schwerer, den betroffenen Menschen zu helfen."

Für Wolfgang R. kam die Hilfe der Wohnungsnotfallhilfe gerade noch rechtzeitig. Die Awo konnte ihm eine Gemeindewohnung organisieren. Alleine, da ist sich Wolfgang R. sicher, hätte er es nicht geschafft, wieder Fuß zu fassen.

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