NS-Vergangenheit der Münchner Polizei:Handlanger des Terrors

Die bösen, die Verbrecher, das waren die anderen: Nun, nach 60 Jahren will die Münchner Polizei ihre Rolle in der NS-Zeit untersuchen lassen.

Stephan Handel

Zum Beispiel Joachim Both. Am 9. November 1938 kommt der Münchner Textilienhändler mit seiner Frau Marjem gegen Mitternacht von einem Kinobesuch nach Hause. Dort, in der Lindwurmstraße 185, warten zehn SA-Schläger auf das jüdische Ehepaar. Sie ermorden Both in seiner Wohnung durch einen Kopfschuss. Zwei Schutzpolizisten haben währenddessen nichts anderes zu tun, als Max Both, den Sohn, zu verhaften, weil er sich nach der Parkplatzsuche in dem Versuch, seinen Eltern zu Hilfe zu kommen, mit SA-Männern unten auf der Straße prügelt. Den Mördern geschieht nichts: Wie in den meisten Fällen dieser Pogrom-Nacht überlässt die Polizei die Bestrafung der Täter dem NSDAP-Parteigericht, das erwartungsgemäß feststellt, ihnen sei wegen der "besonderen Umstände in jener Nacht" nichts vorzuwerfen.

60 Jahre lang zeigte die bundesdeutsche Polizei kein erhöhtes Interesse daran, die Taten und das Versagen ihrer Vorgängerin, der Polizei in der Weimarer Republik und im NS-Staat aufzuklären: Die Bösen, die Verbrecher, das waren die anderen, die Gestapo und die SS, eine Verhüllungsstrategie, die auch bei der Wehrmacht versucht wurde, dort jedoch schon lange nicht mehr gehalten werden kann. Und auch die Polizei versucht nun, sich ihrer Verantwortung und ihrer Vergangenheit zu stellen - das Münchner Präsidium hat eine Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum vereinbart, gemeinsam sollen Polizeibeamte und Historiker aufklären, welche Schuld die Münchner Polizei auf sich geladen hat.

Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer und Irmtrud Wojak, die Gründungs-Direktorin des Doku-Zentrums, stellten das Projekt bei einer Pressekonferenz am gestrigen Montag vor. Schmidbauer stellte sich dabei selbst gleich zwei Fragen: Warum? Und warum erst jetzt? Die erste Frage beantwortete er mit der Verantwortung des Münchner Präsidiums: Diese verlange heute, sich der Frage zu stellen, "wie Polizeibeamte dazu kamen, als kritiklose, wenigstens aber widerstandslose Handlanger, häufig genug aktiv und überzeugt den Terror gegen die Opfer des NS-Staates gestaltet zu haben".

Deutlich schwerer fiel Schmidbauer die Antwort auf die Frage nach dem Zeitpunkt. Ein Fragesteller mutmaßte, nun sei ja leicht aufklären, da wahrscheinlich die meisten Zeitzeugen - auf Täter- wie auf Opferseite - schon tot seien. Schmidbauer zog sich auf "neuere Forschungen" zurück, was aber eben nur bedeutet, dass jahrzehntelang gerade nicht geforscht wurde. Immerhin: Seit 2007 existiert am Präsidium eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Geschichte der Behörde beschäftigt. Zwölf Beamte arbeiten darin ehrenamtlich und in ihrer Freizeit, weil, wie Schmidbauer sagte, "historische Forschung keine Polizeiaufgabe ist". Sie werden nun unterstützt von drei Historikern aus dem NS-Dokuzentrum.

Dessen Direktorin Irmtrud Wojak sagte, Forschungsgegenstände sollten die Zeit vor, während und auch nach der Nazi-Zeit sein, eine personelle Kontinuität nach 1945 sei unübersehbar. Unter anderem will sich die Arbeitsgruppe mit der Verfolgung von Sinti und Roma beschäftigen, der die berüchtigte "Landfahrer-Kartei" entsprang, mit der Unterstützung der Gestapo durch die Polizei bei der Bekämpfung des Widerstandes gegen die Nazis und mit dem Einsatz von Polizeibataillonen im Zweiten Weltkrieg. Erstes Ziel der Kooperation ist eine Ausstellung, die 2013 die Ergebnisse präsentieren soll.

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