Neubiberg wählt:Trügerische Sicherheit

Neubibergs Bürgermeister Günter Heyland fühlt sich beliebt und fest im Sattel. Seine drei Herausforderer sprechen jedoch von einer zunehmenden Schar an Kritikern. Die finanzielle Lage der Gemeinde ist angespannt.

Von Stefan Mühleisen

Günter Heyland muss sicher noch hundert Hände schütteln, doch der Bürgermeister packt zu, unermüdlich. Jeder Gast wird angestrahlt. Guten Abend, schön, dass Sie da sind. Ab. Nächster. Ein Samstag Mitte Januar, draußen ist es schneidend kalt, doch die Besucher werden warm empfangen zur Neujahrs-Soirée der Gemeinde Neubiberg in der Aula der Grundschule. Bürgermeister Heyland genießt es, wie 300 Gäste an ihm vorbeipilgern. Hier bin ich Chef, hier darf ich sein.

Der strahlende Sieger von 2008 strahlt an diesem Abend die Aura des Amtsinhabers aus: Er darf sich sicher im Sattel fühlen als Bürgermeister der 14 000-Einwohner-Kommune am Südostrand Münchens. Der 52-Jährige ist nun voll hineingewachsen in die Rolle des Rathaus-Repräsentanten. Er glaubt, alles richtig gemacht zu haben. Heyland hat in sechs Jahren einen selbstsicheren Stil der Amtsführung entwickelt, manche in der Gemeinde finden jedoch: zu sicher.

So seelenruhig das Auftreten des Bürgermeisters ist, seine Wiederwahl ist keineswegs gesichert, der Ausgang der Wahl am 16. März ist offen. Die Neubiberger Wähler haben es mit extrem divergenten Wahrnehmungen zu tun: Heyland sieht sich selbst als beherzten Rathauschef, seine Gegner werten es als autoritäres Regiment; der Bürgermeister glaubt, er sei ein fairer Mediator der Bürgerinteressen; seine Kritiker finden, er verprelle die Menschen. Seine Mitbewerber um das Bürgermeisteramt, vor allem Hartmut Lilge (CSU) und Tobias Herberlein (SPD), schwangen sich in den vergangenen Wochen zu Wortführerern einer angeblich zunehmenden Schar von Heyland-Gegnern in der Gemeinde auf. Sein Auftreten und sein Stil stoße die Leute vor den Kopf, sagen die beiden unabhängig voneinander. Der Dritte im Bund der Herausforderer, Grünen/ÖDP-Kandidat-Kilian Körner, sagt dies zwar weniger scharf, dafür nicht weniger von der Sache überzeugt: "Wer sich umhört, hört dass es Zweifel am Bürgermeister gibt."

Also Wechselstimmung in Neubiberg? Schwer zu sagen. Die Kommune mit dem Zusatz "Gartenstadt" ist ein attraktiver Lebensraum: Der Ausbau der Kinderkrippen schreitet voran, bald wird es sogar eine Überversorgung geben. Es gibt drei Grundschulen, zwei Mittelschulen, eine Realschule und ein Gymnasium am Ort. Für die Freizeit stehen Sportzentrum, Tennisanlage, Kegelbahn, Funpark mit Halfpipe, Jugendzentrum und 600 Hektar Grünfläche und Wald als Naherholungsgebiet zur Verfügung; entweder mit der S-Bahn oder mit dem Auto ist man von Neubiberg aus schnell in München; gewohnt wird vorwiegend in Häuschen mit Garten.

Es gibt also wenig zu mäkeln für die Wählerschaft. Der Gemeinderat debattiert zwar endlos, oft bis spätabends. Doch Beschlüsse über wichtige Entscheidungen fallen meist einstimmig. Die Parteien und Gruppierung haben faktisch die gleichen Vorstellungen über die Entwicklungslinien. Allerdings: Finanziell ist die Lage der Gemeinde angespannt. Nach einer millionenschweren Gewerbesteuerrückzahlung 2012 ist das kommunale Budget immer noch in Schieflage. Ohne neue Kredite droht mittelfristig ein herbes Defizit. Der Gemeinderat wird an diesem Montag, 17. Februar, darüber beraten.

Die Front gegen den Amtsinhaber liegt zunächst darin begründet, dass - und wie - er Bürgermeister wurde: mit einem fulminanten Erdrutschsieg. Die Wahl hatte wegen zweier Formfehler ein Jahr später, im März 2009, wiederholt werden müssen. Die neue Gruppierung Freie Wähler für Neubiberg und Unterbiberg (FW.N@U) des Ex-SPD-Gemeinderats eroberte aus dem Stand sieben Sitze; sie war nun zur stärksten Fraktion geworden. Die CSU schrumpfte von neun auf sechs, die SPD von acht auf vier Sitze. Die Grünen konnten ihre vier Gemeinderäte behaupten, die FDP erhielt zwei, die Studentengruppierung der Bundeswehr-Uni USU-100% Uni einen. Vor allem die CSU wurmt es bis heute, dass sie ihre Vormachtstellung im Rat abgeben musste.

Die neue Ausgangslage führt zu wechselnden Mehrheitsverhältnissen - und das lähmt das Gremium. Quälend lange dauern die Entscheidungsprozesse. Einige Beispiele: Zwei Jahre debattiert der Gemeinderat über einen Bebauungsplan Tannenstraße/Kaiserstraße bis er in Kraft treten kann. Doch dann will Thomas Pardeller (CSU) die Anordnung der Reihenhäuser erneut grundsätzlich überdacht haben. Oder: Nach elf Jahren schier endloser Debatten im Gemeinderat, nach drei Workshops und drei Nutzungsänderungs-Beschlüssen, ringt sich der Gemeinderat zu einem Rahmenkonzept für das Brachgrundstück an der Freiherr-von-Stengel-Straße durch. Doch gibt es Proteste von Anwohnern, die ein Verkehrschaos fürchten - die CSU fordert erneut, das Nutzungskonzept zu ändern. Oder: Die Verwaltung präsentiert ein Konzept zur Straßensanierung; Wilhelm Nehls (FDP) will darüber erst gar nicht diskutieren, sondern zunächst die Meinung der Anwohner einholen.

Der Bürgermeister findet dabei in die Rolle des wachsamen Aussitzers. Er lässt die oft ausufernden Diskussionen laufen und trägt selbst mit ellenlangen Präsentationen und "Sachstandsberichten" zur Ausdehnung der Debatten bei. Der zähe Diskurs nährt die Anspannung im Gremium. Immer wieder werden heftige Anschuldigungen ausgetauscht, immer wieder kommt es zum Eklat. Zum Beispiel: Die CSU leitet eine Rathausanfrage der Presse zu, in der Auskunft über Pläne einer Moschee-Ansiedlung auf dem Rewe-Gelände verlangt wird. "Unverfrorenheit", "Unterste Schublade", "billige Rhetorik" lauteten noch die harmlosen Vorwürfe der anderen Fraktionen über den Ablauf, wie die Informationen an die Öffentlichkeit gelangten.

Doch auch die anderen Parteien suchen gerne den Kontakt mit Bürgern, wenn das politische Zwiegespräch nur noch Zwiespältiges ergibt. In laufenden Verhandlungen der Gemeinde mit der Stadt München über die Südanbindung Perlach (SAP) laden neben CSU auch SPD und FDP zu eigenen Info-Veranstaltungen und Ortsbegehungen ein. In Pressemitteilungen hatten sie davor schon ihre Meinung zum Planungsstand kundgetan. Heyland sieht dies als Affront, da er als Bürgermeister qua Beschluss der Verhandlungsführer sei. Gereizt reagiert zudem die Führungsetage der Bundeswehr-Universität darauf, dass die Lokalpolitiker lauthals eine Verlegung der Uni-Hauptzufahrt fordern, obwohl die Realisierbarkeit und der Nutzen eines solchen Millionenprojekts noch nicht einmal ansatzweise belegt ist.

Heyland zeigt sich oft konsterniert und persönlich getroffen, wenn seine Kompetenz in Frage gestellt wird, wie beim Streit um die Kinderkrippe Kiwi zu beobachten war. Da nimmt er den Emissär des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in der Gemeinderatssitzung quasi ins Kreuzverhör, was diesen - und die zahlreich anwesenden Eltern - ziemlich irritiert. Heyland fühlt sich falsch verstanden und will die Ursache der Differenzen darlegen - doch es kommt als herrisches Gebaren rüber. Auch wirkt Heyland manchmal unsensibel. Etwa wenn er in der Bürgerversammlung auf die drängende Bürger-Frage zur SAP bürokratisch auf geltende Beschlüsse des Gemeinderates verweist. Allerdings: Rein verwaltungspraktisch liegt Heyland meist richtig. Im Fall der Kiwi-Krippe hatte der Gemeinderat deren Abwicklung per Beschluss besiegelt - und dann wieder revidiert.

Bei einigen Neubibergern mag das zu Verwirrung führen - was ihre Wahlentscheidung aber nicht beeinflussen muss. Denn trotz der auszehrenden Beratungsmarathons - den die Leute kaum mitbekommen - kann Heyland als Bilanz den Bau der Kinderkrippe am Floriansanger und des Feuerwehrgerätehauses Unterbiberg vorweisen sowie die Realisierung des Kreuzungsumbaus an der Äußeren Hauptstraße. Unter seiner Ägide wurde ein Nachverdichtungskonzept erarbeitet und verabschiedet, das den Bau neuer Quartiere rechtsverbindlich regelt. Das sind nur einige Punkte, die Heyland im FW-N@U-Internetauftritt unter der Rubrik "Das habe ich als Erster Bürgermeister für unsere Gemeinde geschafft" auflistet. Ohnehin wertet Heyland seinen Habitus als zurückhaltend, dafür tatkräftig. "Ich stehe für einen verbindenden und moderaten Stil", sagt er.

Offene Unterstützung im politischen Neubiberg hat Heyland bisher nur von den Liberalen. "Er führt mit Herz und Verstand die Gemeinde, er macht einen guten Job", sagt der FDP-Spitzenkandidat und ehemalige Landtagsabgeordnete Tobias Thalhammer über den Bürgermeister. Die Grünen halten sich mit Kritik zurück. Kandidat Körner tritt als selbstbewusster, dabei sanfter und legerer Mediator auf. Heyland-Tadel hört man von ihm nur sehr zahm und unkonkret. SPD-Bewerber Heberlein setzt dafür auf scharfe Hiebe. "Er tut gar nichts, oder er verzögert gewaltig", sagt er. In der Kandidatenriege ist der 35-Jährige der Managertyp. Der Vertriebsleiter des Online-Portals "Azubiyo" sieht Heyland indirekt verantwortlich für die miese Haushaltslage. "Gar nichts" habe dieser unternommen für die Unternehmensansiedlung am Ort, weshalb sich auch die Gewerbesteuereinnahmen so schlecht entwickelt hätten. CSU-Kandidat Lilge - phänotypisch ist er der väterliche Oberstleutnant mit jovial-dozierendem Ton - schimpft dafür oft und gern über des Bürgermeisters angebliche Alleingänge. "Die Leute fühlen sich bevormundet und nicht wahrgenommen", zeigt er sich überzeugt.

Damit sind die Marken für den Wahlkampf gesetzt, der am 27. Februar endgültig Fahrt aufnehmen dürfte: An diesem Tag treffen die Kandidaten um 19.30 Uhr in der Aula der Grundschule Neubiberg bei einer Podiumsdiskussion zur Wahl aufeinander. Interessant könnten die Wortbeiträge der Kontrahenten zum gemeindlichen Haushalt werden. Denn zum Budget entfaltet sich gerade eine für Neubiberg typische Hin-und-Her-Kontroverse: Lilge sagt, er sei gegen eine Neuverschuldung, wenn die Kredittilgung nicht durch Einnahmen gesichert sei. Die SPD gibt in einer aktuellen Pressemitteilung das Ziel aus, "die Verschuldungspolitik von Bürgermeister Günter Heyland" beenden zu wollen. Der Bürgermeister wird wohl an diesem Abend wieder viele Hände schütteln, ob er seinen Herausforderern die Hand zur Versöhnung reicht, ist fraglich. Denn im vergangenen Dezember hatten noch alle Fraktionen im Gemeinderat in ausführlichen Plädoyers ihre grundsätzlich Aufgeschlossenheit artikuliert, neue Schulden aufzunehmen.

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