Neubiberg:Front-Erfahrung

Neubiberg, Bundeswehruni, Bibliothek, Lesung, Josef Schmitt

Josef Schmitt jun. ließen die Erlebnisse seines Vaters nicht los. Er wertete dessen Feldpostbriefe von der Ostfront aus und schrieb ein Buch.

(Foto: Angelika Bardehle)

Studenten der Bundeswehruni befassen sich mit Feldpost

Von Christina Jackson, Neubiberg

Ein Stift, Papier und Licht im Schützengraben: Für Joseph Schmitt war das alles im Zweiten Weltkrieg schier lebenswichtig. Inmitten des Gefechthorrors an der Ostfront stellten die Hilfsmittel die einzige Möglichkeit dar, Kontakt zu seiner Ehefrau Susanne zu halten. Allein der Gedanke an die Familie stützte den Wunsch, zurückzukehren. Mit Erfolg: Joseph Schmitt war im Dezember 1945 als Schwerversehrter mit Frau und Sohn Josef wieder vereint in Glonn im Landkreis Ebersberg. Im Gepäck die Briefe seiner Frau, die auch mehr als 700 Poststücke ihres Mannes aufbewahrt hatte.

Der Inhalt dieses Austauschs blieb nach der Rückkehr des Ehemanns und Vaters weitgehend unausgesprochen. Doch das Erlebte wirkte weiter und erfasste selbst das Leben der nächsten Generation. Josef Schmitt junior setzte sich deshalb dem schmerzhaften Aufarbeitungsprozesses aus und veröffentlichte rund 435 Briefe seines Vaters in dem Buch "Ich bin noch am Leben". Vor Offiziersgefreiten der Bundeswehruniversität Neubiberg sowie Besuchern aus dem Landkreis las er aus der Publikation, die auch Zeichnungen und Skizzen des Vaters von der Front enthält.

Am 27. November 1942 berichtete Schmitt senior seiner Frau ("liebe Susi"), was es bedeutet, bei Stalingrad im Gefecht zu sein. "Ich hatte Glück mitten in der Hölle. Zwei Meter vor mir schlug eine Granate ein." Splitter trafen ihn bei dem Angriff im Gesicht, ein 29-jähriger Soldat starb in seinen Armen. Am Ende des Briefes entschuldigt er sich für den kleinen Splitter, der am Rand des Postumschlags stecken geblieben war. Zum Schrecken im Gefecht kommt eine Malariaerkrankung hinzu. Dazwischen: ein seltenes Bad im See, Brombeeren am Wegesrand und Ausgaben beim Einkauf im Dorf. Die Schreiben seiner Frau nummerierte Schmitt durch. In einer Notiz bedankt er sich für den Brief 142 und lobt den vernünftigen Umgang seiner Susi mit dem regelmäßigen Waschtag und ausgewogenen Schlaf. Er selbst berichtet, dass die Gruppe kaum zur Körperpflege kommt. Nach zwei Wochen habe er einmal Hände und Gesicht waschen können. Ganz offensichtlich will der 1909 geborenen Schmitt seiner Familie die schlimmsten Schilderungen ersparen. Er schreibt: "Es ist ein Glück, dass ihr das Leid auf beiden Seiten nicht seht". Möglich ist, dass er die Feldpost-Zensur fürchtete.

Die Offiziersanwärter folgten den Schilderungen in der Unibibliothek aufmerksam. Sie interessierte insbesondere, wie Schmitt senior nach dem Krieg mit seiner kämpferischen Vergangenheit und der Nazi-Ideologie umging. Den Sohn jedenfalls ließ der Vater daran nicht teilhaben. Dessen Bilanz: "Er war ein Mitläufer und hat nach dem Krieg nicht mehr darüber gesprochen." Offiziersanwärter Fabian Holmer kennt kriegerische Auseinandersetzungen bisher nur aus der Distanz. Ein künftiger Einsatz in Krisengebieten ist möglich. Für den 24-Jährigen steht fest: "Den Vergleich zu einem Weltkrieg kann man nicht ziehen." Er studiert Staats- und Sozialwissenschaften und versteht die Briefe als Mahnung. "Es ist erschreckend, wie viel Tod und Zerstörung ein Krieg hinterlässt." Text: Christina Jackson, Foto: Angelika Bardehle

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