Neubiberg:Facebook als Isolationsfalle

Neubiberg: Taymour Benkhalef alias Benka ist Sohn einer Französin und eines algerischen Diplomaten. In Lille und Nizza studierte er Psychologie, schon damals beschäftigte er sich mit Computer- und Smartphonesucht.

Taymour Benkhalef alias Benka ist Sohn einer Französin und eines algerischen Diplomaten. In Lille und Nizza studierte er Psychologie, schon damals beschäftigte er sich mit Computer- und Smartphonesucht.

(Foto: Claus Schunk)

Der französisch-algerische Künstler Benka kämpft gegen unreflektierten Mediengebrauch und Display-Zombies. Seine Bilder sind derzeit in der Galerie Galliani zu sehen. Es ist die letzte Werkschau dort.

Von Franziska Gerlach, Neubiberg

Bei Taymour Benkhalef alias Benka hat Facebook Zähne. Keine strahlend weißen Perlen hat der 33 Jahre alte Künstler dem in der Typografie des US-amerikanischen Medienkonzerns gehaltenen "F" verpasst, sondern die fiesen Beißer eines Vampirs. Nicht gerade sympathisch. Und wer sich in diesen Tagen Benkas Bilder in der Galerie Galliani ansieht, der infiziert sich am Ende womöglich - mit Benkas Groll auf die sozialen Medien und Smartphones, weil die den permanenten Zugang zu Facebook und Co. ja überhaupt erst möglich machen.

Nach fünf Jahren in Neubiberg hört Galeriebetreiberin Till-Galliani auf

"Human Robot" lautet der Titel von Benkas Ausstellung, es ist die letzte Werkschau in der Neubiberger Kunstgalerie. Nach fünf Jahren hört Christel Till-Galliani auf. Sie werde heuer 65 Jahre alt, die Arbeit werde ihr zu viel, auch körperlich. Das ist natürlich verständlich. Doch fällt damit im Landkreis München auch ein Ort weg, an dem unbequeme Künstler wie Benka ihre Arbeiten zeigen können. Bis zum 28. Juli vereinen sich 24 Arbeiten des französisch-algerischen Malers, der mit seiner Familie in Pasing lebt, in Neubiberg zu einer Farbe gewordene Provokation. Als Spray, Ölkreide oder Acryl auf die Leinwand gebracht, verdichten sich Neongrün, Orange oder Pink bei Benka zu einer schallenden Ohrfeige für eine Gesellschaft, in der alle dauernd online sind und ewig gestresst.

Nicht so Benka natürlich: Eigentlich ist er Psychotherapeut, in der Malerei aber versteht er sich als eine Art Aufklärungskämpfer gegen einen unreflektierten Mediengebrauch, er will aufrütteln und warnen. Außerdem ist er Autodidakt, und als solcher ein gutes Beispiel dafür, dass Quereinsteiger oft mit mehr Experimentierfreude auffallen als die Absolventen arrivierter Kunsthochschulen. Auch der Musik ist er zugetan: Seit er vier Jahre alt war spielt er Schlagzeug. Mit einer französischen Death Metal Band nimmt er später zwei Alben auf.

Man würde sich jetzt gerne Fotos von Benka am Schlagzeug bei Facebook ansehen. Aber natürlich hat er dort gar kein Profil. Auch ein Smartphone besitzt er nicht, mais non, zum Beweis friemelt er ein uraltes Nokia-Modell aus der Hosentasche. "Ein anderes habe ich nie gehabt", sagt er und wiegt das Handy zärtlich in der Hand. Charmanter Zungenschlag, die Haare zum Dutt aufgezwirbelt, sein Gegenüber duzt er lieber. Benka ist aber auch einer, der genau hinschaut: Zum Beispiel wenn er die "Zombies" in der Münchner U-Bahn beobachtet, die des Morgens wie ferngesteuert übers Display wischen. In manchen Bildern begegnet man diesen Kreaturen, mit einigen flüchtigen Pinselstrichen hat Benka die einfältigen Visagen mit den leeren Augen erschaffen.

Benkas Bilder sind eine schallende Ohrfeige für eine Gesellschaft, in der alle dauernd online sind

Er bejaht das Infantile in der Malerei - "die direkten Nachrichten", zu denen Kinder fähig seien - da passt es natürlich gut zum Selbstverständnis, dass er seine ersten Malversuche als kleiner Junge auf den Teppichen und Wänden seines Elternhauses unternommen hat. "Das war Rock'n'Roll bei uns", sagt er. Kritzeleien? Damit kann man einen Benka nicht beleidigen. Denn habe nicht auch Picasso betont, wie schwer es sei, zu malen wie ein Kind?

Immer wieder kommt der Pasinger auf Jean-Michel Basquiat zu sprechen, den US-amerikanischen Künstler, der mit 27 Jahren an einer Überdosis starb. Ihn verehrt er wegen seiner Fähigkeit, "einfach und echt" zu malen, für seine Farbigkeit. Nun aber will er sich von seinem Idol distanzieren. Gerade arbeite er an "einem reiferen Stil", ein Werk von 2017 zeigt bereits deutlich eine Hinwendung zum Abstrakten. Meistens regiert jedoch das Prinzip der naiven Unbefangenheit, zuweilen baut Benka Fantasiefiguren wie quietschgrüne Drachen ein. Oder ein Auto, mehr Trabi als SUV, wird zum Sinnbild des geschäftigen Kräftemessens zwischen Nähe und Distanz, in das ja auch der moderne Mensch gerät, wenn er Freundschaft sucht im Netz, oder gar Liebe.

Neubiberg: Von infantilen Malstilen geht Benka inzwischen über zum Abstrakten.

Von infantilen Malstilen geht Benka inzwischen über zum Abstrakten.

(Foto: Claus Schunk)

Dann wiederum scheint Benka eine geradezu hintersinnige Lust am Dekonstruieren der virtuellen Welt zu überkommen. Ein Smartphone hat er mit spitzen Öhrchen ausgestattet, ein "Batphone" ist es jetzt - man möchte laut lachen über diese Reminiszenz an Batman, doch dazu ist die Angelegenheit zu ernst. Zu der Forderung "killwerbung" vor knallgelbem Grund haben ihn die Werbepausen inspiriert, mit denen ein Privatsender meint, die Ausstrahlung seiner geliebten Fernsehserie "Die Simpsons" alle paar Minuten unterbrechen zu müssen. Da scheint in jedem Fall ein leidenschaftlicher Charakter am Werk zu sein, einer, der bei gewissen Themen so leicht aufzubringen ist wie der Wind der Provence. Doch hinter diesem agilen Zorn verbirgt sich viel Sinn fürs Subtile, und vielleicht verhält es sich bei Benka so wie bei seinen Bildern, bei denen er die ursprüngliche Botschaft - eine Zeichnung oder einen Text - oft mit mehreren Schichten Farbe überdeckt: Man muss zunächst an der Oberfläche kratzen, etwas mehr erfahren über den Künstler, um den Kern des Ganzen erfassen zu können.

Schon im Psychologiestudium beschäftigt Benka sich mit Computersucht

1983 kommt er als Sohn einer Französin und eines algerischen Diplomaten in Abu Dhabi zur Welt, die Familie kommt viel herum: London, Sierra Leone, Kamerun, Frankreich und schließlich Wien, wo er sein Abitur an einer französischen Schule macht, in Lille und Nizza studiert er Psychologie, schon damals beschäftigt er sich mit Computer- und Smartphonesucht. Vor zwei Jahren zieht er nach München, will dort als Psychiater arbeiten. Doch in Deutschland wird sein Therapeutenausbildung nicht anerkannt, er hätte noch einige Jahre investieren müssen.

Ergo kehrt er zur Kunst zurück. Benka weiß also, wie es sich anfühlt, wenn man das, was man zu sein geglaubt hat, plötzlich nicht mehr ist. Überhaupt: Mangel. Diesen zu ertragen fällt in Zeiten, da sich Wünsche mutmaßlich mit ein paar Klicks realisieren lassen, bekanntlich schwer. Doch erst wenn etwas fehle, so Benka, werde klar, was man wirklich benötige. Und während er mit Feuer in den Augen über die Isolation redet, in welche die Kontaktsuche in den sozialen Medien einen paradoxerweise treiben können, beginnt es plötzlich zu rumoren. Man ist versucht, mal eben nachzusehen, was sich auf dem eigenen Smartphone denn gerade so tut. Man unterdrückt den Impuls, lässt sich lieber noch ein wenig treiben durch diesen bizarren Bilderkosmos in Neubiberg. Die Droge Benka hat nämlich schon angeschlagen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: