Neubiberg:Am Stammtisch bleiben Stühle leer

Unter Bobby Kreuzers Großeltern gab es im Neubiberger Hof einen Tanzsaal, später ein Kino. Inzwischen wird in der ehemaligen Bahnhofsrestauration nurmehr für Pensionsgäste gekocht

Von Daniela Bode, Neubiberg

Dem ersten Eindruck nach ist im Neubiberger Hof, dem Wirtshaus im Ort, alles wie immer. Es riecht nach Essen, die Tische sind mit dicken Stoffdecken und Plastikblumen geschmückt, auf den Fensterbrettern steht Nippes wie eine Entenfamilie aus Keramik. Doch das täuscht. Denn vor kurzem hat das Traditionsgasthaus seine tägliche Gastronomie eingestellt. Jetzt werden nur noch die Fremdenzimmer vermietet, gekocht wird nur noch für die Übernachtungsgäste. Inhaberin Hildegard Kreuzer, die alle nur "Bobby" nennen, hat sich schweren Herzens aus Altersgründen zu dem Schritt entschieden. "Es ist ein Stück Herzblut, es verändert die Psyche, wenn du immer da drin bist", sagt die 79-Jährige.

Neubiberg: Heute bewirtet Bobby Kreuzer nur noch Pensionsgäste und den Stammtisch.

Heute bewirtet Bobby Kreuzer nur noch Pensionsgäste und den Stammtisch.

(Foto: Claus Schunk)

Wer das in dezentem Mint gestrichene Haus an der Hauptstraße 2 gegenüber der S-Bahn-Station betritt, taucht ein in ein Stück Neubiberger Geschichte. 1924 eröffneten Kreuzers Großeltern Centa und Michael Hartl das Gasthaus, das damals noch Bahnhofsrestauration hieß. Nebenan betrieben sie eine Metzgerei. Als 1959 Kreuzers Großmutter starb, übernahmen ihre Mutter Centa und ihr Vater Sepp Söltl den Neubiberger Hof. Noch bis zuletzt sprachen Gäste davon, sie gingen "zum Söltl" zum Essen. "Als 1972 meine Mutter verstarb, haben mein Mann, mein Vater und ich die Gaststätte weitergeführt", erinnert sich die Inhaberin. Neu war das für sie nicht, sie hatte schon ihr Leben lang in dem Familienbetrieb mitgeholfen. 1994, als das Haus umgebaut wurde, erfüllte sie sich einen Herzenswunsch und vermietete fortan auch Fremdenzimmer. "Schon als Kind hatte ich den Wunsch, einmal eine Pension zu haben", sagt sie.

Neubiberg: Bobby Kreuzer mit ihren Eltern.

Bobby Kreuzer mit ihren Eltern.

(Foto: Claus Schunk)

Zu dem Gasthaus gehörte auch ein großer Festsaal. In den Dreißigerjahren organisierte die Familie dort Tanzabende mit der Stabskapelle von Neubiberg. Soldaten kamen mit ihren Frauen. "Es gab ja damals keine Vergnügungsstätten", sagt Bobby Kreuzer. Als 1945 die Amerikaner kamen, war es vorbei mit den Tanzabenden. Die Familie richtete ein Kino in dem Saal ein. "Es war das einzige in der Gegend", sagt Kreuzer. Sie kann sich noch genau erinnern, welche Filme gespielt wurden. "Sieben junge Herzen", "Frauen sind keine Engel", sprudelt es aus der kleinen zierlichen Frau heraus, die mit ihrem weißen Arbeitskittel über der Kleidung noch immer so aussieht, als ob sie sofort anpackt. Als 1959 der Fernseher seinen Weg in die Wohnzimmer fand, überlegte die Familie neu und richtete 1960 zwei Kegelbahnen im Keller ein. In der Bar im Nebenraum, das Mobiliar stammt noch aus den Fünfzigerjahren, soll ordentlich gefeiert und gequalmt worden sein. Der Festsaal diente bis zu seinem Abriss 1994 als Lager und Kreuzers Söhnen und ihren Freunden als Spielplatz, wenn er einmal leer war.

Neubiberg: Der Ballsaal im Neubiberger Hof ist schon lange Geschichte.

Der Ballsaal im Neubiberger Hof ist schon lange Geschichte.

(Foto: Claus Schunk)

Bobby Kreuzer hält es auch heute noch mit dem Satz, dass Wirtin kein Beruf, sondern eine Berufung sei. Sie ist Gastgeberin durch und durch, lässt nicht locker bei der Frage, ob die Autorin und der Fotograf nicht etwas trinken wollen. Sie geht ihrem Sohn, der für die Gäste kocht und ihrer Schwiegertochter, die bei der Bewirtung hilft, zur Hand und reicht die Salate. Sie ratscht mit Übernachtungsgästen, die gerade zur Tür hereinkommen. "Ich war immer neugierig, das bin ich auch heute noch. Sonst erfährst ja nix", sagt sie. Auch wenn der Körper nicht mehr so mitmacht, zieht sie noch immer die Fäden. "Ich bin zuständig für alles, vom Putzlappen bis zum Finanzamt", sagt sie und lacht.

Man kann sich gut vorstellen, wie sehr sie es bedauert, dass sich noch kein Nachfolger für ihre Gastronomie aufgetan hat. "Besonders für die Senioren tut es mir leid", sagt sie. Also die, die mit dem Gasthaus alt geworden sind. Für sie gab es im Neubiberger Hof zuletzt immer kleine Gerichte mit einem kleinen Salat. Gutbürgerlich-bayerische Küche vom Rahmschnitzel bis zum Wiener Schnitzel. Das ist jetzt vorbei.

Der Wandel der Zeit ist eben auch an dem Traditionshaus nicht vorbeigegangen. So sitzen heute am Stammtisch nurmehr fünf, sechs Personen. "Früher mussten wir Stühle dazustellen", sagt die Wirtin. Auch gekartelt werde weniger als früher. Wer von den Jungen heute noch Watten könne, fragt die Wirtin. Dafür wird die Kegelbahn noch genutzt. Die Zimmer vermietet das Wirtspaar oft an Monteure, Gäste der Bundeswehruniversität und an Stammgäste. Fürs Oktoberfest seien die Zimmer schon die nächsten Jahre ausgebucht, erzählt Bobby Kreuzer. Manchmal bewirtet sie mit ihrem Team auch noch Familienfeiern oder Beerdigungen im Neubiberger Hof.

So schade es auch ist: Bobby Kreuzer kann nicht sagen, sie hätte nichts erlebt. "Es hat mir immer gefallen, unter vielen Leuten zu sein", sagt sie. Vielleicht hat sie ja Glück, und es findet sich doch noch jemand, der das Wirtshaus übernehmen will.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: