Münchner Caritas:Kabalen in der Suchtklinik

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Der Leiter der Münchner Fachklinik "Fasanenhof" wurde entlassen, weil er Patientinnen angeblich zu Unrecht behandelte - das ist nur die Oberfläche eines komplizierten Konflikts.

Bernd Kastner

Die Frau ist Mitte 30 und Mutter von drei kleinen Kindern. Sie ist abhängig von Drogen, psychisch krank, leidet unter Hepatitis und der Gewalt ihres Mannes. Knapp ein Jahr lang wurde sie in einer Münchner Spezialklinik behandelt, ihr Zustand stabilisierte sich, sie kam weg von den Drogen, konnte wieder in eine Wohnung ziehen. Nach der Entlassung aus der Klinik aber dauerte es einige Wochen, ehe sie einen ambulanten Therapieplatz fand.

Querelen in der Suchtklinik: Im Fasanenhof streitet sich der Geschäftsführer mit dem ehemaligen Klinikleiter - die Übergänge zwischen Tatsachen und Gerüchten sind fließend. (Foto: Stephan Rumpf)

In dieser schwierigen Übergangszeit besuchte sie mehrmals ihre ehemalige Klinik, um nicht wieder abzurutschen in Drogen und Verzweiflung. Dort wurde ihr Urin auf Spuren von Rauschgift untersucht. Darf die Frau ihre Kinder behalten?, war damals die Frage.

Und jetzt geht es darum, ob diese Hilfe für die Frau es rechtfertigt, den verantwortlichen Klinikleiter Georg M. zu entlassen. Er hat in seiner Klinik auch andere junge Frauen mit ihren Kindern nach dem stationären Aufenthalt vorübergehend betreut, meist Frauen aus sozial und finanziell prekären Verhältnissen. Doch diese therapeutische Hilfe wurde Georg M. zum Verhängnis.

Der Psychotherapeut und Sozialpädagoge leitete seit gut zwei Jahrzehnten die Fachklinik "Fasanenhof". M., 55, wurde im September 2009 fristlos entlassen. Pikant macht die Geschichte, dass der "Fasanenhof" von der Münchner Caritas betrieben wird, und die Caritas den Rauswurf offiziell so begründet: Weil M. die Patientinnen nach der Entlassung weiter betreute, seien dem Diözesanverband Kosten von mehreren tausend Euro entstanden, mithin ein "Schaden".

Was bringt einen katholischen Wohlfahrtsverband dazu, Hilfe für Bedürftige als "Schaden" zu definieren? Es kommt eine doppelbödige Auseinandersetzung zu Tage, die am Ende wohl nur Verlierer kennen wird: neben der Caritas und seinem Klinikchef auch die Mitarbeiter und, zumindest indirekt, jene Menschen, um die sich alle Beteiligten kümmern sollten - schwer drogenabhängige Mütter und ihre Kinder.

Wo Hilfeleistungen als "Schaden" betitelt werden

Der "Fasanenhof" liegt am Blütenanger im Norden der Stadt, die Reha-Klinik hat 31 Betten und genießt einen guten Ruf in Fachkreisen. Vor genau einem Jahr fand Georg M. nach Rückkehr aus seinem Urlaub ein Schreiben der Caritas-Zentrale im Briefkasten: Es war die Freistellung vom Dienst, inklusive Hausverbot, wegen des Verdachts "erheblicher Dienstpflichtverletzung", wenig später folgte die fristlose Entlassung.

Im Rahmen einer Innenrevision habe man festgestellt, so die Caritas, dass M. durch Urinkontrollen bei ehemaligen Patientinnen einen "Schaden" von mindestens 5100 Euro verursacht habe. Das Vertrauen in ihn sei deshalb unheilbar zerstört. Ohne Kostenübernahme durch die Rentenversicherung hätte M. die Patientinnen nicht weiter versorgen dürfen.

Später, da lag die Sache schon beim Arbeitsgericht, rechnete die Caritas nochmals genau nach: Bei sieben Patientinnen sei in den Jahren 2008 und 2009 ein Gesamtschaden von exakt 14.858,23 Euro entstanden. In dieser Summe sind nicht nur die Stundensätze des Therapeuten M., Urinkontrollen für 11,07 Euro oder Drogenschnelltests für 13,99 Euro enthalten, sondern auch Telefonkosten: Mal 8,30, mal 17,31 Euro.

M. hält dagegen: Er habe das schon seit Jahren so gemacht, die Chefetage habe darüber Bescheid gewusst, es habe auch immer wieder Prüfungen gegeben, aber nie habe sich jemand beschwert. Vor allem aber argumentiert er mit der zwingend nötigen Fürsorge: Wenn er die Patientinnen nach ihrer stationären Therapie nicht mehr betreut hätte, wäre dies ein Verstoß gegen seine therapeutischen Pflichten gewesen. Die Frage, wer die Kosten trägt, sei da zweitrangig, schließlich sei auch das Kindeswohl in Gefahr gewesen.

Dieser Argumentation schließen sich auch Fachleute im bundesweiten Caritas-Verband an und kritisieren das Vorgehen der Münchner Caritas. Die Versorgung der Patienten in der kritischen Übergangsphase nach der Klinikentlassung sei innerhalb der Caritas "Usus", sagt Stefan Bürkle, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Suchthilfeeinrichtungen der deutschen Caritas (CaSu). Es komme öfter vor, dass die Caritas die Kosten selbst trage. Wolfgang Scheiblich wird noch deutlicher: "Das ist nicht zu erklären", kritisiert der langjährige CaSu-Vorsitzende, "das schädigt den Ruf der Caritas. Ich schäme mich dafür."

Auch das Münchner Arbeitsgericht gab M. Recht: In erster Instanz erklärten die Richter die Kündigung für nichtig. Die Begründung der Caritas überzeuge nicht, und obendrein hätte der Verband vorher eine Abmahnung aussprechen müssen. Das Gericht ordnete M.s sofortige Rückkehr in den Fasanenhof an.

Doch dazu kam es nicht, Mitte Mai 2010 erhielt M. eine sogenannte Änderungskündigung. Er könne auf keinen Fall in die Klinik zurück, weil man dort inzwischen einen Arzt als Chef eingestellt habe, die Rentenversicherung habe das so verlangt. Dafür aber bietet man M. den Posten des stellvertretenden Leiters in Gauting an. Dort betreibt die Caritas ein geschlossenes Mädchenheim mit 100 Mitarbeitern.

Jener Mann, dem die Caritas schwere Verfehlungen vorwirft, zu dem das Vertrauen angeblich unrettbar zerstört ist, soll nun also Vize-Chef in einer höchst sensiblen Einrichtung werden. M. nimmt die Stelle vorbehaltlich an, ist seither aber krankgeschrieben.

M.s Gegenspieler ist Norbert Huber. Der Geschäftsführer der Münchner Caritas hat zahlreiche Einrichtungen unter sich, ist zuständig für 1300 Mitarbeiter, auch für die ein bis zwei Dutzend im Fasanenhof. Huber sagt, er dürfe sich nicht öffentlich über seinen Noch-Mitarbeiter M. äußern, nur so viel: "Wir glauben, dass wir im Sinne der Mitarbeiter und der Patienten im Fasanenhof so handeln mussten."

Was die Folgen für die Klinik angeht, weist Huber die Vorwürfe des ehemaligen Klinikleiters zurück. M. sagt, durch seinen Rauswurf seien mindestens 20 laufende Therapien abrupt abgebrochen worden, das Behandlungssystem in der Klinik sei instabil und Rückfälle häufiger geworden. Nein, all das stimme nicht, erklärt Huber, mit einer Ausnahme: Die Mutter-Kind-Gruppe ist vorübergehend geschlossen.

Das alles ist die offen diskutierte Ebene, in der es um ein paar tausend Euro geht. Unterhalb der Oberfläche trifft man auf Menschen, die wenig Gutes übereinander erzählen: hier die Gefolgsleute des Ex-Chefs, dem es nicht an Selbstbewusstsein mangelt, dort seine Gegner in Belegschaft und Zentrale. Dass das Verhältnis zwischen Geschäftsführer Huber und seinem ehemaligen Klinikleiter heillos zerrüttet ist, ist ein offenes Geheimnis. Man trifft aber auch Beschäftigte, die vom Klima des Miteinanders in der Klinik schwärmen, weshalb man sich gerne über das normale Maß engagiert habe.

Aber auch das Gegenteil ist zu hören: dass die stillschweigend erwarteten Überstunden die Leute kaputt gemacht hätten. Jede Seite wirft der anderen Mobbing und Bespitzelung vor. Von Nähe und Abneigung zum Ex-Chef reden sie im Fasanenhof, man hört von Mitarbeitern, die vor ihrem Chef davongelaufen seien, und von solchen, die nach seinem Rauswurf krank wurden. M. weist alle Vorwürfe, er habe die Mitarbeiterschaft gespalten oder gegängelt, zurück.

In den Schriftstücken, die die Parteien vor Gericht einreichen, tauchen all diese Hintergründe nicht auf. Die Grenzen zwischen Tatsachen und Gerüchten sind fließend in dieser Geschichte. Demnächst muss das Landesarbeitsgericht über die Berufung der Caritas entscheiden. Ob das Urteil Ruhe bringt, ist zweifelhaft, zu tief scheinen die Verletzungen.

Die Mutter, die im Fasanenhof versorgt wurde, hatte Erfolg: Sie blieb clean, ihre Kinder mussten nicht ins Heim. Heute gäbe es für die Familie im Fasanenhof keinen Platz mehr.

© SZ vom 02.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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