Integration in Unterschleißheim:Einmal Schneider, immer Schneider

Der syrische Flüchtling Feras Alezzo schneidert in der Klawotte Unterschleißheim

Feras Alezzo schneidert in der Klawotte Unterschleißheim sehenswerte Taschen.

(Foto: Florian Peljak)

Der syrische Flüchtling Feras Alezzo fertigt in der Klawotte Handtaschen aus alten Kleidern. In Beirut hatte er ein Geschäft mit 60 Mitarbeitern

Von Kevin Rodgers, Unterschleißheim

Feras Alezzo sucht nach seinem Maßband. Ohne sein Meterband könne er sich unmöglich an die Nähmaschine setzen, da geht es dem gelernten Schneider ums Prinzip. Alezzo, bunt kariertes Hemd, schwarze Haare, schüchternes Lächeln, legt sich das gelbe Maßband um den Hals, setzt sich an die alte graue Maschine und beginnt zu nähen. Seit Weihnachten 2015 arbeitet der 40 Jahre alte Syrer in der Klawotte Unterschleißheim. Das liebevoll eingerichtete Sozialkaufhaus an der Landshuter Straße ist eine Fundgrube für schöne Dinge, die anderswo nicht mehr gebraucht werden.

Das Angebot des über zwei Stockwerke gehenden Ladens reicht von Kleidung bis hin zu Haushaltswaren aller Art. Seit einigen Monaten sind jedoch nicht Pullover und Besteck, sondern die Handtaschen von Feras Alezzo der Höhepunkt des Sortiments. Der Syrer verwendet Krawatten, Kleidung und sogar Lederjacken für seine Kreationen.

In einer feinen Münchner Boutique könnte er einen stolzen Preis verlangen

Der syrische Flüchtling Feras Alezzo schneidert in der Klawotte Unterschleißheim

Feras Alezzo ist froh um seine Arbeit in der Klawotte. Er hofft auf baldige Anerkennung seines Asylantrags.

(Foto: Florian Peljak)

Je nach Ausgangsmaterial entstehen nun Taschen in den verschiedensten Formen. Von einfachen Einkaufstaschen aus zusammengenähten Krawatten bis hin zu einer enormen Handtasche aus dem Oberteil eines Dirndls, dessen ehemalige Ärmel jetzt als praktische Seitentaschen für Wasserflaschen oder Schlüssel dienen. Stünde die Tasche nicht in der Klawotte, sondern im Schaufenster einer feinen Münchner Boutique, könnte man sicher einen stolzen Preis dafür verlangen.

An die 50 Stück hat der Schneider in der Klawotte schon genäht. Jede Tasche ist ein Einzelstück, keine gleicht der anderen. Auf die Idee mit den Taschen kam Alezzo, als er die alten Krawatten und Kleider gesehen hat, für die sich doch kein Käufer mehr gefunden hat. Auf diese Weise finden die Stoffe doch noch zu einer neuen Funktion.

Abhängig von der Größe der Tasche braucht er zwischen einer und drei Stunden. Langweilig wird ihm dabei nie. Dass er sich in der Klawotte mit dem Nähen von Taschen auf einer kleinen Nähmaschine begnügen muss, macht ihm nichts aus. Im Gegenteil. "Am liebsten würde ich noch viel mehr Taschen machen", sagt Alezzo. Die Arbeit sei das einzig Sinnvolle, was er zurzeit machen könne. "Wir müssen ihn manchmal sogar bremsen. So viele Taschen können wir gar nicht verkaufen", lacht seine Chefin Gabi Schmid-Scherr.

Dass er etwas zu tun hat ist für den syrischen Schneider von zentraler Bedeutung. "Es ist wichtig, dem Tag eine Struktur zu geben und zu arbeiten. Das Nichtstun war auch das schlimmste, als wir noch in der Turnhalle gewohnt haben", berichtet er. Die Kundschaft der Klawotte ist bunt gemischt. "Der Laden hat sich zu einem richtigen Treffpunkt entwickelt. Von der Stadträtin bis zum Flüchtling kommen alle", erklärt Schmid-Scherr. Bis zu 120 Kunden kämen an einem durchschnittlichen Tag, an guten Tagen auch mal 170. Zwölf ehrenamtliche Mitarbeiter kümmern sich dann um die Kundschaft, darunter auch drei syrische Flüchtlinge. "Das sind ganz fleißige und tolle Leute. Auch die Leute haben sie ganz positiv aufgenommen", sagt Walter Kopp, der ehrenamtlich in der Klawotte aushilft.

Der syrische Flüchtling Feras Alezzo schneidert in der Klawotte Unterschleißheim

Der Schneider aus Syrien kann die unterschiedlichsten Stoffreste verwerten. Selbst aus alten Dirndlblusen macht er modische Taschen.

(Foto: Florian Peljak)

Ein Berg aus Stoffresten und Krawatten

"Insgesamt gibt es im Landkreis fünf Klawotten. Eine sechste nur für Kinder kommt im Herbst in Ottobrunn hinzu", erklärt Barbara Ettl vom AWO-Kreisverband München-Land. "Die Geschäfte müssen sich finanziell selbst über Wasser halten. Deshalb sind wir auf gut erhaltene Spenden angewiesen." Der übrige Erlös komme sozialen Projekten im Ort zugute, so Ettl.

Der syrische Flüchtling Feras Alezzo schneidert in der Klawotte Unterschleißheim

Für jeden Stoffrest hat Alezzo den passenden Zwirn parat.

(Foto: Florian Peljak)

Vom Trubel im Geschäft bekommt Feras Alezzo an seiner Nähmaschine nur wenig mit. Er hat sie auf einem kleinen Tisch mitten in der Teeküche aufgebaut, dahinter ein großer Berg aus Wäschekörben voller Stoffreste, Krawatten und fertigen Taschen. Alleine ist er dort selten. Die Mitarbeiter schauen oft auf einen Kaffee vorbei und bewundern das handwerkliche Geschick und Talent des Schneiders.

So auch Ghassan Abdulhadi. Der junge Medizinstudent arbeitet im Erdgeschoss an der Warenannahme. Er ist zusammen mit Alezzo zur Klawotte gekommen und lernt mit großem Ehrgeiz Deutsch, spricht die Sprache nach sechs Monaten schon erstaunlich gut und möchte hier in Deutschland sein Studium fortsetzen. In der Klawotte sind seine Dienste als Übersetzer gefragt. Munter geht es zwischen Arabisch, Englisch und Deutsch hin und her, Kommunikationsprobleme gibt es keine.

In Deutschland ist der syrische Flüchtling seit knapp einem Jahr. Zusammen mit seinem Neffen ist Alezzo auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise nach Deutschland gekommen. Zuerst ging es mit einem kleinen Boot von der Türkei hinüber nach Griechenland und dann die Balkanroute entlang bis nach München. Sein Lächeln ist während seiner Erzählungen erloschen, das Thema nimmt ihn sichtlich mit.

Frau und Kinder harren noch in Syrien aus

Die Entscheidung zur Flucht sei ihm schwer gefallen, seine Frau und fünf Kinder harren noch immer in Syrien aus, erzählt er. Vor dem Krieg habe er ein gutes Auskommen gehabt, hatte zuletzt eine große Schneiderei mit 60 Mitarbeitern in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Das Nähen ist auch ein bisschen Ablenkung. In der Klawotte kann man hautnah miterleben, wie erfolgreiche Integration funktioniert. Die Flüchtlinge finden hier nicht nur Arbeit, sondern auch Anschluss an die Gesellschaft. "Wir wurden hier herzlich aufgenommen. Es ist alles perfekt", strahlt Alezzo. Dennoch gibt es einige Probleme, vor allem von behördlicher Seite. Obwohl Alezzo seit Oktober 2015 in Deutschland ist, wurde noch nicht über seinen Asylantrag entschieden. Das bedeutet, dass er trotz Arbeitsplatz in der Klawotte jederzeit verlegt werden könnte.

Ginge es nach dem Landratsamt, könnte er in der Familienunterkunft bleiben. Das wollen aber weder Alezzo noch Ghassan Abdulhadi. Sie können sich vorstellen, zusammen mit Neffe und Bruder eine Wohnung in der Nähe zu beziehen. Dann wäre die bisherige Integration in die Gesellschaft nicht umsonst gewesen. Über Asylanträge entscheidet jedoch nicht das Landratsamt, sondern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg.

Gefragt nach seinen Wünschen für die Zukunft erzählt Feras Alezzo, er möchte seiner Familie eine Existenz und eine sichere Zukunft aufbauen. "Ein eigenes Schneidergeschäft hier in Unterschleißheim wäre schön", überlegt er. Denn: "Einmal Schneider, immer Schneider."

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