Menschen am Fluss:Der schönste Platz in der Stadt

Performance-Künstler Wolfgang Flatz freut sich jeden Tag darüber, dass er auf der Praterinsel lebt. Mitten in München schaut er den Tieren und dem Fluss zu, beobachtet aber auch die Menschen ringsum

Von Renate Winkler-Schlang

Der Kabelsteg mit seinem schönen Jugendstilgeländer, das ist einer der Lieblingsplätze von Flatz: "Der Fluss, die Bäume, im Hintergrund das Deutsche Museum: Von hier sieht das aus wie ein englisches Landschaftsbild von William Turner. Vor allem früh morgens, wenn ich mit dem Hund hier spazieren gehe." Leider kann Flatz das momentan nur beschreiben und nicht zeigen, denn Arbeiter haben den Kabelsteg frisch asphaltiert. "Mittwoch um zehn ist wieder offen", sagt der Mann in Warnweste, der die Baustelle mit einem Zaun absichert.

Doch auf der Bank im Schatten auf der östlichen, der "wilden" Seite der Praterinsel, lässt es sich auch gut aushalten. Flatz raucht einen krummen, überdimensionierten Zigarillo und schwärmt vom Privileg, an diesem Ort leben und arbeiten zu dürfen - mitten in der Stadt und ihr doch völlig entrückt. "Der schönste Platz in München ist und bleibt die Praterinsel, da kann man sagen, was man will." Was für geradezu schwärmerische Worte von einem, der sich als provozierender Performance-Künstler international einen Namen gemacht hat; der mit seinen Tattoos und der dunklen Sonnenbrille auf den ersten Blick so wirkt, als ginge ihn das alles hier nichts an - und der zudem anderswo in München, im Atelierhaus an der Kistlerhofstraße, einen preisgekrönten Künstler-Garten geschaffen hat. Aber am Fluss zu sein, das sei immer etwas Besonders.

Der aus Vorarlberg stammende Professor Wolfgang Flatz nennt sich selbst nur kurz Flatz. Er sieht sich als das "kulturelle Feigenblatt", den Alibi-Künstler auf diesem Eiland, dessen Eigentümern die Stadt zur Auflage gemacht hat, sie müsse "überwiegend" der Kunst und Kultur dienen. Bereits 1988, damals 36-jährig, kam Flatz auf die Insel. Er war Teil einer Aktionsgruppe, die die ehemalige Likörfabrik Riemerschmid, die unter anderem den absinthartigen Likör "Escorial grün" herstellte, zum Ateliergebäude umfunktionierte. Die alte Garage der früheren Likör-Liefer-Laster ist sein Atelier geworden, er hat alles selbst hergerichtet. Oben drüber unterm Dach, versteckt unterm Kastanienbaum, befindet sich sein kleines Wohn-Loft.

Menschen am Fluss: Kein Durchkommen ist momentan am Kabelsteg, der frisch asphaltiert wird. Künstler Wolfgang Flatz liebt die Praterinsel und ihre Umgebung.

Kein Durchkommen ist momentan am Kabelsteg, der frisch asphaltiert wird. Künstler Wolfgang Flatz liebt die Praterinsel und ihre Umgebung.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Seit den Achtzigerjahren ist viel geschehen, die Künstler sind weg, eine Eventagentur und ein paar Landtagsabgeordnete mit ihren Büros haben sich hier etabliert. Strand, Kunstmessen, Events locken manchmal Massen her. Am renaturierten Ufer tummeln sich immer mehr Familien. "Jeder hat das Recht dazu, deswegen hat die Stadt sie doch so gut renaturiert." Doch für Flatz ist die Insel in der Isar immer noch ein Ruhepol, seine Natur-Oase, in der er kürzlich sogar "soo" einen Dachs gesehen hat. Mit den Händen deutet er an, wie lang das Tier war. Eichkätzchen, Spechte, seltene Vögel bringen ihn zum Lächlen. "Jeden Tag freue ich mich, hier leben zu dürfen. Und ich sage das wirklich in Demut."

Morgens wecke ihn der Schrei eines Käuzchens, erzählt er. Vom Bett aus sieht er das Grün der Bäume. Geht er ans Fenster, schimmert unten zwischen den Blättern grün das Wasser durch. "Jeden Tag ist der Fluss anders, im Moment gemächlich und klar, bei Hochwasser reißend, trüb. Er riecht dann sogar anders." Flatz zeigt zu den Wurzeln der Bäume überm steilen Uferstück: "Bis hierher stand das Wasser schon." Doch der Direktor des Wasserwirtschaftsamts, das früher im Norden der Insel Büros hatte, habe ihn einmal beruhigt: Quasi auf den Liter genau lasse sich der Pegelstand heutzutage steuern.

Aber noch ist ja Sommer in der Stadt, und auch der Frühaufsteher wagt sich ab und zu zur Abkühlung in seine Isar. Das ganze Jahr über aber wolle er diese Wassersport-Chance dann doch nicht nutzen, gesteht er schmunzelnd: "Es muss schon schön warm sein." Joggen kann Flatz nicht mehr, sein Körper mache nicht mehr alles mit nach dem schweren Unfall vor einigen Jahren. Auch zum Angeln fühlt er sich nicht berufen. Doch Freunde kämen öfter wegen der Fische: "Die räuchern die dann auch."

Menschen am Fluss: Doch auf der Bank im Schatten auf der östlichen, der "wilden" Seite der Praterinsel, lässt es sich auch gut aushalten.

Doch auf der Bank im Schatten auf der östlichen, der "wilden" Seite der Praterinsel, lässt es sich auch gut aushalten.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Flatz beobachtet gerne die Leute, redet mit anderen Hundebesitzern, wenn er seinen Hund namens "Herr Professor" spazieren führt. Er sieht dann auch immer wieder Graffiti-Sprayer, die die Mauern gegenüber und die Brücken von unten als öffentliche Leinwand benutzen. Das gehöre zum Bild einer Großstadt. "Es gibt gute und schlechte", sagt er. Nicht akzeptabel findet er, wenn diese Künstler der Nacht auch vor denkmalgeschützten Gebäuden wie dem kleinen alten Kraftwerk gegenüber nicht Halt machen.

Sein Sohn Norton habe die ersten drei Jahre bei ihm verbracht und die schönsten Steine gesammelt, erzählt Flatz. Daran erinnere er sich nicht mehr bewusst, doch sein Unterbewusstsein lasse den heute Zwölfjährigen bei jedem Besuch dasselbe wieder tun. Norton lebe in London, an der dreckigen, sicherlich giftigen Themse. "Was hat München für ein Glück mit dieser Isar. Deren Wasser kann man ja fast trinken", sagt Flatz. Ein Flussmaler ist Flatz ja nun nicht gerade, doch seine Kunst lebt auch vom Fluss. Mitten in seinem Atelier hat er eine Skulptur aufgebaut - alles Schwemmholz aus der Isar, kunstvoll verbunden. Ein Brett stellt eindeutig einen Pferdekopf dar. Er lächelt: "Schauen Sie. Da musste ich gar nichts verändern." Das eindrucksvolle Werk ist gekrönt von einem Pferdeschädel, in den fein die Geschichte der Indianer hineingeschnitzt ist: "Den habe ich nicht an der Isar gefunden."

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