Mitten in Grünwald:Eine Hand drückt die andere

In Grünwald spielt sich vor jeder Gemeindratssitzung ein wundersames Spektakel ab, das an Familienfeiern erinnert

Von Claudia Wessel

Es ist ja manchmal nicht einfach für einen Journalisten, jeden Gemeinderat zu kennen. Das Problem ist, dass je nach Anordnung der Tische viele von ihnen mit dem Rücken zum Pressetisch sitzen. Man berichtet also womöglich bereits mehr als ein Jahr lang aus einem Gremium, würde aber die Hälfte der Mitglieder bei einer Gegenüberstellung nicht erkennen. Im Grünwalder Gemeinderat kann einem das nicht passieren. Denn hier gehört das große Händeschütteln zum guten Ton. Jeder, der den Raum betritt, gibt jedem Anwesenden die Hand.

Man lernt auf diese Weise nicht nur die Gesichter kennen, sondern auch sehr persönliche Eigenheiten, die sich in einem Händeschütteln ausdrücken. Da sind zum Beispiel die Menschen, bei denen man vor Schreck ein wenig zusammenzuckt angesichts des festen Zudrückens. Dann gibt es die, die nett und freundlich und nicht zu fest zudrücken, dann aber die Hand plötzlich fast wie erschreckt wieder wegziehen. Oder es gibt diejenigen, die diese Methode noch steigern und deren Händedruck nur ein leichtes Streicheln ist oder eher noch der Hauch eines Schmetterlingsflügels.

Dies ist natürlich bei jeder Sitzung ein bisschen anders, je nachdem, was auf der Tagesordnung steht, wie die Temperaturen sind und wie verschwitzt die Journalistenhände. Es ist auf jeden Fall ein wundersames Spektakel, das sich vor jeder Sitzung abspielt, und es erinnert einen ein wenig an Familienfeiern in Kindertagen, wenn man von Mama geschoben eine Hand nach der anderen nahm und Onkel und Tante wohlerzogen begrüßte.

Man stelle sich vor, wie viele Hände sich vor einer solchen Sitzung begegnen bei 25 Gemeinderäten, einem Bürgermeister, einem Bauamtsleiter, einem Hauptamtsleiter, einem Kämmerer, drei Pressevertretern und drei bis fünf weiteren Vertretern der Verwaltung. Wird dann beispielsweise ein Großprojekt wie das Haus der Begegnung abgesegnet, kommen noch etwa zehn Architekten dazu. Bis es losgeht, ist einem schon ganz warm ums Herz vor lauter Freundlichkeit. Und wenn dann nach wenigen Minuten noch der Duft der Brotzeit durch den Raum zieht, die es hinterher gibt - wer möchte denn da streiten?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: