Mitten im Landkreis:Lebensfreude, die beflügelt

Auch mit einem fehlenden Bein kann man glücklich sein, wie ein Hund beweist

Von Berthold Neff

Es ist ja zu Jahresbeginn meist so, dass man sich etwas schwer tut, so viel Optimismus zu entwickeln, dass es für 365 Tage reicht. Der Kopf ist vom vielen Anstoßen noch etwas bedröppelt, und auch der Schlafentzug in der Silvesternacht und der Feinstaub in der Luft sind nicht dazu angetan, all die Lebensgeister zu wecken, die man auch heuer sicher brauchen wird.

Man sitzt also, nach einer Nacht in Gräfelfing und einem längeren Fußmarsch außerhalb der Münchner Stadtgrenze, etwas angeschlagen im Bus, der einen zum Pasinger Bahnhof bringen soll. Eine Jugendliche steigt ein. Sie trägt einen roten Mantel, eine braune Wollmütze, im linken Nasenflügel steckt ein Ring, oberhalb des Kinns ein Piercing in Kugelform. Sie ist guter Dinge, lächelt die anderen Fahrgäste an, kümmert sich aber ansonsten nur um ihren Begleiter. Sie hält ihn an der kurzen Leine, was ihm egal zu sein scheint. Dann sagt sie "Sitz!" zu ihm, was er ignoriert. Er bleibt lieber stehen, was einen verwundert, denn er hat nur drei Beine. Dem dunkelbraunen Mischlingshund fehlt der linke Vorderlauf. Der alten Frau gegenüber fällt das auch auf. Sie erkundigt sich und erfährt, dass der Hund wohl ein Jahr alt ist und aus dem Tierheim stammt. Sein Vorderlauf war von Anfang an verkrüppelt und für ihn ohne Nutzen, er behinderte ihn sogar. "Der Tierarzt hat dann gesagt, wir sollen ihn lieber abnehmen", sagt das Mädchen. "Aber er kommt super damit zurecht, er ist ein ganz Tapferer."

Die alte Frau nickt. Sie streichelt den Hund, der immer noch nicht sitzen will. "Am liebsten würde ich alle Hunde aus dem Tierheim bei mir zu Hause aufnehmen", sagt das Mädchen, "aber es war nur noch für einen zweiten Platz". Der Hund dreht seinen Kopf zu ihr hin, wedelt mit dem Schwanz. Jetzt spricht wieder die alte Frau, er wendet sich ihr zu. "Meinem Mann", sagt die alte Frau, "haben sie auch ein Bein abgenommen, es geht ihm trotzdem gut".

Vor dem Aussteigen will der stille Beobachter dieser Geschichte nur noch eines wissen: Wie heißt der tapfere Hund?

"Murphy", sagt das Mädchen. Ihr, der alten Frau und Murphy sei an dieser Stelle gedankt, für ihren Schwung und Optimismus. Wir nehmen uns ein Stück davon, das reicht fürs ganze Jahr.

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