Mitten im Isartal:Botanische Wundertüten

Es gibt Alternativen zu langweiligen Geranien. Lasst die Natur einfach mal machen

Kolumne von Wolfgang Schäl

Wir riskieren an dieser Stelle die steile These, dass Geranien auf dem Balkon langweilig sind. Mal blau, mal rot, mal hängend, mal stehend, Jahr für Jahr. Experten behaupten sogar, sie seien spießig. So weit lehnen wir uns zwar nicht aus dem Fenster, sind selbst aber zu einer völlig neuen botanischen Strategie übergegangen: Wir pflanzen gar nichts mehr an, sondern lassen einfach wachsen, was so an Samen herbeifliegt. Das ist erstens billig, zweitens spannend, weil man nicht die geringste Ahnung hat, was sich in den leeren Töpfen vom Vorjahr alles ansiedelt. Und drittens kann man nichts falsch machen, wenn man die Natur walten lässt, wie sie will.

So hat sich beispielsweise ein rapide wachsendes Stämmchen, das wir von der Form der Blätter eigentlich schon als angehende Dorflinde gesehen hatten, plötzlich als Sonnenblume enttarnt, obwohl wir eine solche doch nie und nimmer eingepflanzt haben. Es kann nur so gewesen sein, dass ein Vogel einen Sonnenblumenkern aus dem Meisenknödel herausgehämmert hat, sodass er in den Blumentopf gefallen ist. Das ist lustig und allemal spannender als eine Geranie.

Ebenso interessant ist die Distel, die sich nebenan eingefunden hat, und der man sich mit großer Vorsicht nähern sollte. Dass sich aus dem dornigen kleinen Ungeheuer eine edle Rose entfalten würde, hatten wir nicht erwartet, gewähren ihm aber Asyl im Blumentopf, wenigstens für einen Sommer, weil es vor unserem geistigen Auge zu einem mannshohen Kaktus wächst, der irgendwo in einer Wüste Mexikos steht, bei 50 Grad im Schatten. So erspart man sich eine anstrengende Fernreise.

Nicht weniger erwähnenswert ist ein vom vergangenen Jahr übrig gebliebener Lavendelstock, der seit vielen Monaten schwarz, verdorrt, vorwurfsvoll und mausetot wie nach einem Waldbrand aus dem Blumenkasten gestarrt hat und nun plötzlich wieder anfängt zu blühen, ohne dass man ihn jemals gegossen hätte. Gewiss war er inspiriert von jenen millimeterkleinen, rosa sprießenden Miniminiblüten im selben Topf, die vielleicht noch nie jemand gesehen hat und die eine botanische Sensation sind: Flora wolfratshausia flößeria internationalia.

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