Menschen an der Isar:Ein Mann, ein Fluss

Dimitrios Nikolaidis hat der Isar sein Berufsleben lang die Treue gehalten: Er ist Leiter aller 13 Wasserkraftanlagen der Münchner Stadtwerke, die seit 1999 vollautomatisiert betrieben werden

Von Jürgen Wolfram

Letzte Zweifel von Neubürgern an den Qualitäten Münchens werden für gewöhnlich bei der ersten Begegnung mit der Isar fortgespült. Eine naturnahe Flusslandschaft mitten in einer Millionenstadt - wo sonst wird man mit einer solchen Attraktion verwöhnt? Auch Dimitrios Nikolaidis erfasste eine Welle der Begeisterung, als er 1973 erstmals an den Ufern der Isar entlang spazierte. Er war im Schüleralter aus Aschaffenburg zugezogen und schlagartig fasziniert. "Keine Lastkähne wie auf dem Main mehr, dafür Kiesbänke, auf denen man sich sonnen durfte. Ein echtes Highlight", erinnert sich der 50-Jährige, der sich gern als "bayerischer Grieche" ausgibt. Es war ein Erlebnis mit Tiefgang; Nikolaidis ist der Isar sein Berufsleben lang treu geblieben, treuer als die meisten Menschen, die ihre Affinität zu Oberbayerns viel gerühmtem Gewässer betonen.

Der Werdegang des Deutschgriechen liest sich wie eine Abfolge von Wasserstandsmeldungen, die irgendwann einen markanten Höhepunkt erreichen. Nach einer Ausbildung zum Elektriker folgt die Anstellung bei den Stadtwerken München (SWM). Lehrgang auf Lehrgang schließt sich an, und am Ende ist Nikolaidis Leiter aller SWM-Wasserkraftwerke. In dieser Funktion dirigiert er heute 13 Anlagen, spielzeugartig kleine wie imposant große, von denen vier auf Münchner Stadtgebiet liegen. Was seinem und dem Selbstbewusstsein seiner 35 Abteilungskollegen mächtig Auftrieb gibt, ist die Renaissance der Wasserkraft in Zuge der Energiewende. Kohle und Kernkraft waren gestern, jetzt haben die erneuerbaren Energien Oberwasser. "Auf die Wasserkraft zu setzen, ist schon deshalb vernünftig, weil es die einzige nennenswerte Ressource darstellt, die Bayern zur Verfügung hat", sagt Nikolaidis. Vor allem sei die Stromgewinnung an den Flüssen gründlich erprobt. Dank erstklassiger Ingenieurleistungen funktioniere sie seit mehr als 100 Jahren - "bei sensationell hohem Wirkungsgrad". Was in Zeiten hoher Pegelstände des öffentlichen Umweltbewusstseins nicht minder zähle: Die Wasserkraft zerstöre keine Natur, verändere sie höchstens.

Menschen an der Isar: Alles unter Kontrolle: Wasserkraftwerke-Chef Dimitrios Nikolaidis beim Routinecheck.

Alles unter Kontrolle: Wasserkraftwerke-Chef Dimitrios Nikolaidis beim Routinecheck.

(Foto: Stephan Rumpf)

Einem Isar-Fan wie Nikolaidis nimmt man ab, dass ihm nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Anlagen, sondern auch deren umweltschonender Betrieb am Herzen liegt. Geduldig ringt der Chef der Münchner Wasserkraft mit Fachbehörden und Naturschutzorganisationen um verträgliche Lösungen, beispielsweise beim Mähen grüner, zu den Kraftwerken gehörender Uferstreifen. Dass ein Interessenausgleich sich nicht automatisch einstellt, ist dabei so klar wie Quellwasser. "Jogger hätten am liebsten einen kurz geschorenen Wiesenteppich, Vogelschützer wegen der Gelege hüfthohes Gras. Erholungsuchende wünschen ein leicht betretbares Badegewässer, Angler eher eine Art Fischteich", führt Nikolaidis gängige Beispiele an. Zudem gebe es zuhauf noch jene Liebhaber der Isar, die von den Zusammenhängen keinerlei Ahnung haben. Ihnen bleibe verborgen, wie genial das Zusammenspiel von Fluss, Werkkanal und Auer Mühlbach in Thalkirchen und Harlaching funktioniere. Aus Nikolaidis' Sicht ist gerade dies ein Exempel dafür, "dass auch künstlich gestaltete Gewässer schön sein können".

Menschen an der Isar: Spaziergänger müssen draußen bleiben: Tor zum malerischen Isarwerk 1.

Spaziergänger müssen draußen bleiben: Tor zum malerischen Isarwerk 1.

(Foto: Stephan Rumpf)

Eine spritzige Idee ist aus seiner Sicht die Vollautomatisierung der SWM-Wasserkraftwerke gewesen. Der letzte Schritt, die Umstellung auf einen Betrieb ohne jegliche Personalbesetzung, erfolgte 1999. Seither entfalten zumal die älteren Anlagen eine kontrastreiche Wirkung: Wie das 1905 errichtete Isarwerk 1 in Thalkirchen - Spitzenleistung 2400 Kilowatt - stehen sie da, als seien sie pittoreske Industriemuseen. Verwaist die Schaltwarte, gespenstisch die Turbinenkammer fünf Meter unter der Wasseroberfläche, knarzend die Jahrzehnte alten Treppen. Dennoch schlägt in diesem Ambiente ein Herz aus modernster Technik. "Unsere Maschinen sind hocheffizient", beteuert der Verantwortliche, der sie seit 15 Jahren penibel überwacht, "in dieser Disziplin gehören unsere Stadtwerke zu den Klassenbesten".

Nikolaidis muss auf vieles achten. Treibgut ist aus Becken zu fischen, die Isar mit der festgelegten Restwassermenge zu versorgen, menschenleere Anlagen sind gewissenhaft zu sichern. Sie liegen teilweise so einsam, dass Kreuzotter und Eisvogel sich im Hinterhof einnisten. "Die Mischung aus Mensch, Natur und Technik macht meine Arbeit abwechslungsreich", schwärmt Nikolaidis. Obwohl er zweckmäßigerweise unweit des Leitzachwerks bei Feldkirchen-Westerham wohnt, kommt er noch immer oft an die Isar. Einmal im Jahr verlangt es ihn nach dem Mittelmeer. Dann fährt der Vater zweier Kinder in die alte nordgriechische Heimat. Und fragt sich, warum sie dort noch Kohle verstromen, statt Windparks zu bauen. "Eigentlich sollte ich froh sein, wenn ich meinen eigenen Bauchladen im Griff habe", bremst er sich selbst.

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