Leutheusser-Schnarrenberger :"Es war eine andere Form von Liberalität"

Leutheusser-Schnarrenberger : Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei ihrer Lesung in Baierbrunn.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei ihrer Lesung in Baierbrunn.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Die frühere Bundesjustizministerin und FDP-Politikerin blickt in Baierbrunn mit Wehmut zurück, gibt sich aber immer noch kämpferisch

Von Udo Watter, Baierbrunn

Ob es gerecht ist oder nicht: Politikern wirft man, heute noch mehr als früher, oft einen Mangel an Rückgrat, Charakter oder sozialer Wärme vor. Sollte sich dieses Image irgendwann mal ins Positive ändern, dann stehen die Chancen eher gering, dass die FDP damit in Verbindung gebracht wird. Ja, warum dann FDP? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a. D., die am Montag beim "Baierbrunner Bürgerforum" ihr Buch "Haltung ist Stärke" präsentierte, stellt diese Frage denn auch selbst in den Raum - bezog sich aber natürlich erst mal auf die Zeit, als sie der Partei beitrat.

Das war 1978, und die in Minden geborene Rechtswissenschaftlerin beantwortet sie ausführlich: die FDP sei damals "politische Avantgarde" gewesen, eine Partei mit "intellektuellem Anspruch", die Fortschritt mit Pragmatismus, soziale Verantwortung mit wirtschaftlicher Vernunft kombiniert habe. Kluge Köpfe gab es damals viele dort - von Ralf Dahrendorf über Hans-Dietrich Genscher, unter dem 1971 erstmals Umweltschutz ins Programm gehoben wurde, bis zum Rechtsphilosophen Werner Maihofer, der eine kluge Balance zwischen Freiheit und Sicherheit lehrte (die im Zweifel zugunsten der Freiheit ausfiel.) "Es war eine andere Form von Liberalität", sagte Leutheuesser-Schnarrenberger. Eine jenseits von Hedonismus, Egoismus oder Ellbogendenken. Dafür Freiheit des Einzelnen, gekoppelt mit sozialer Verantwortung.

Große Worte, große Werte. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die im Landkreis Starnberg lebt und lange Landesvorsitzende der FDP in Bayern war, ist freilich eine Persönlichkeit, die für diese Werte steht. Die stets mit Leidenschaft für Freiheits- und Bürgerrechte eintrat. Und wer sie am Montag im Irenensaal des Wort & Bild Verlags reden hörte - geschliffen formulierend, mit rhetorischer Tempohärte und moralischer Verve - der spürte, dass die 66-Jährige, die von 1992 bis 1996 und von 2009 bis 2013 Justizministerin war, immer noch brennt für ihre Prinzipien.

In Baierbrunn, wo unter anderem Bürgermeister Wolfgang Jirschik (ÜWG) und Helmut Markwort, Direktkandidat der FDP für die Landtagswahl im Stimmkreis München-Land Süd, ihren Worten lauschten, gab sie einen Einblick in ihr bewegtes politisches Leben. Ihre Reputation als Frau mit Rückgrat wurzelt ja in der Entscheidung, 1996 als Ministerin im Kabinett Kohl zurückzutreten, weil sie den großen Lauschangriff ablehnte. Haltung zeigen, selbständig denken - das hatte sie früh im Kreis der Familie gelernt. Ihr Vater, CDU-Kommunalpolitiker, hatte "ausgesprochenes politisches Sendungsbewusstsein", was indes nicht immer zu den von ihm erhofften Ergebnissen führte: Sie selbst sei in die FDP eingetreten, eine andere Schwester in die SPD und die jüngste habe mit den Grüne sympathisiert. Später, als sie als erste Frau in Deutschland ein klassisches Ministeramt übernahm, wurde sie immer wieder mit Leserbriefen ihres konservativen Vaters konfrontiert, dem die Ansichten der Tochter zu liberal waren. Von Seiten des Koalitionspartners habe sie damals öfter gehört: "Ja, wenn du nicht mal den eigenen Vater überzeugen kannst..."

Ihrer Lust am politischen Streit war das nicht abträglich. Mit ihren liberalen Weggefährten Gerhart Baum und Burkhard Hirsch erhob Leutheusser-Schnarrenberger etwa Verfassungsbeschwerde gegen den großen Lauschangriff und 2004 bestätigte das Bundesverfassungsgericht, dass dieser verfassungswidrig sei. Das Spannungsfeld Sicherheit-Freiheit habe sich bis heute vom Prinzip her nicht verändert, es gehe um die Unverletzlichkeit privater Räume, wobei natürlich die technischen Möglichkeiten dank Digitalisierung ganz andere seien. "Die Grundrechte werden nicht vom Staat gegeben in Sonnenzeiten, damit sie uns wieder genommen werden in Schattenzeiten." Wenig verwunderlich, dass sie keine Freundin des neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetzes ist und auch Markus Söders Kreuz-Erlass kritisch sieht. Was den Schutz von Minderheiten und die Flüchtlingspolitik angeht, setzt sie ebenfalls andere humanitäre Maßstäbe als der ein oder andere aktive FDP-Politiker auf Bundesebene. Und erklärt sich als entschiedene "Verfassungspatriotin". Langer Applaus.

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