Lesung:Emanzipatorische Kränzchen

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Viel besser als das Klischee: Die Kulturwissenschaftlerin Katja Mutschelknaus hat ein Buch über das Phänomen des Kaffeeklatsches geschrieben. (Foto: Robert Haas)

Katja Mutschelknaus beleuchtet in Ismaning soziale und geschichtliche Aspekte des Kaffeeklatschs

Von Franziska Gerlach, Ismaning

Nennen wir sie Adele, die Frau mit der Kaffeetasse. Die Haare trägt sie hochgesteckt. Nicht streng, sondern nach Art jener geordneten Unordnung, die um die Wende zum 20. Jahrhundert modern war. Die Augen aufgerissen, beugt sie sich über einen Tisch, dem Rest eines Kränzchens jungen Damen entgegen, die an ihren Lippen hängen wie Bienen an Blütenpollen. Ob Adele gerade ein schmutziges Geheimnis preisgibt, von Politik spricht oder erzählt, wie eine Buttercremetorte gelingt, gibt die Schwarz-Weiß-Fotografie zwar nicht mehr preis. Und doch zeugt die Szene von einer Intimität, wie es sie eigentlich nur unter Schwestern gibt. Oder besten Freundinnen. Jedenfalls unter Frauen.

Das Foto stammt aus dem Buch "Kaffeeklatsch - die Stunde der Frauen", erschienen im Jahr 2008. Und wenn Katja Mutschelknaus, die Autorin, an diesem Freitag von 17 Uhr an im Schlossmuseum Ismaning daraus liest - wo die Sonderausstellung "Kaffeeklatsch und Teestunde" gerade eine private Sammlung an Souvenirtassen sowie weitere Leihgaben rund um das Thema Kaffee, Tee und Kakao aus Ismaninger Privatbesitz zeigt - wird sie vielleicht auch erwähnen, für wie unterschätzt sie den Kaffeeklatsch hält.

Natürlich hatte dieses Zeremoniell ganz andere Funktionen zu erfüllen als die Verbreitung profanen Tratsches. De facto, weiß die Kulturwissenschaftlerin, hat der Genuss von Kaffee die Wirtschaft nämlich ordentlich angekurbelt. Zum Kaffeeklatsch gehört ja nicht nur der Kaffee, es braucht auch Kuchen, Naschwerk, Porzellan und die entsprechenden Möbel. Die "chaise currante" des Biedermeier zum Beispiel, die laufenden Stühle, die man praktischerweise nach dem Besuch beiseite stellen konnte, hätte es vielleicht nie gegeben. Damit aber nicht genug: Am Kaffeetisch wurden auch heiratsfähige Töchter vorgeführt, diese Treffen boten Scham besetzten Themen wie Menstruationsbeschwerden oder Eheproblemen einen geschützten Raum, unter der Hand wurden aber auch politisch brisante Schriften weitergereicht.

Alles in allem also eine durchaus aufrührerische Angelegenheit, und für die Frauen vergangener Jahrhunderte oftmals die einzige Möglichkeit zum gedanklichen Austausch. An Selbstverwirklichung in Studium oder Beruf war damals nicht zu denken. Und am Abend in die Bar ziehen, auf ein Glas Wein oder zwei, das ziemte sich schlichtweg nicht. Stand den Männern die große, weite Welt der Kaffeehäuser offen, waren die Frauen aufs Haus verwiesen - und machten gewissermaßen aus der Not eine Tugend, indem sie mit dem Kaffeekränzchen einen Zirkel in den eigenen vier Wänden einrichteten, den im Gegensatz zu den öffentlichen Auftritten der Herren die Aura des Heimlichen umwehte. So manchem Ehegatten waren diese Zusammenkünfte bei Kaffee und Kuchen suspekt, es seien regelrechte Kampfschriften gegen den Kaffeeklatsch erschienen, erzählt Mutschelknaus. Weniger konservative Zeitgenossen nahmen die Treffen ihrer Frauen zähneknirschend hin, immerhin waren diese glamourösen Veranstaltungen auch eine Gelegenheit, die eigene Weltläufigkeit zu demonstrieren. Lud das Bildungsbürgertum zur Kaffeegesellschaft, gab es kunstvolle Torten, Gebäck und später auch Likör, das gute Geschirr mit dem Golddekor wurde herausgeholt, der Tisch war mit Spitzendeckchen und Blumenbouquets gedeckt, und selbstredend legte auch die Dame des Hauses die große Robe an. Man gönnte sich etwas.

"Die große Kunst des kleinen Festes", nennt Mutschelknaus den Kaffeeklatsch daher auch gern. Über anderthalb Jahre hinweg hat die Kulturwissenschaftlerin den Kaffeeklatsch für eine Ausstellung am Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart erforscht. Die Geburtsstunde des Kaffeeklatsches datiert sie auf die Jahre um 1700, in Hamburg, Dresden und auch Regensburg tauchte das Ritual um das schwarze Gold schon früh auf, also in Städten an Flüssen, in denen mit exotischen Waren gehandelt wurde. Kaffee war damals zwar teurer, dennoch ist dieser für Mutschelknaus die entscheidende Zutat, nur er konnte zur Entstehung eines Phänomens führen, das sich der Kommunikation so willfährig hingab wie es die Frauen bei einer Tasse Kaffee taten. Die Gründe dafür sind biochemischer Natur: "Kaffee befördert das Sprachzentrum", hat Mutschelknaus einer Studie entnommen, er wirke "anregend und entspannend" zugleich.

Überhaupt sei der gepflegte Genuss von Heißgetränken vormals unüblich gewesen, man trank Bier, Wasser oder Most - Kaffee, dieses dunkle, fremdländische Brühgetränk, war den Leuten irgendwie nicht ganz geheuer. Doch dann kam der Adel auf den Geschmack, der über das nötige Kleingeld für die kostspieligen Bohnen verfügte. Hervorgegangen aus der aristokratischen Tradition sei der Kaffeeklatsch ein Beispiel eines "gesunkenen Kulturgutes", sagt Mutschelknaus - eine Elite lebe einen Lifestyle vor, der dann kopiert werde. Im 19. Jahrhundert war das Ritual schließlich unter Angestellten und Handwerkern etabliert, auch wenn diese ihre Kränzchen sicher bodenständiger ausrichteten als die feinen Damen in ihren Salons.

Wer da zu Sentimentalitäten neigt, den wird dieser Tage der Anblick der Münchner Cafés anrühren, wo der Konsum von Kaffee und Kuchen zum Konzept der Niedlichkeit erhoben wird. Auf pastellfarbenen Stühlchen sitzen Frauen beieinander und stellen das Reden selbst dann nicht ein, wenn sie dem Nachwuchs die Milchschnute abwischen. Eine Renaissance würde Mutschelknaus dem Kaffeeklatsch aber nicht bescheinigen. Dafür müsste er ja mal in der Versenkung verschwunden sein. Das sei der aber nie der Fall gewesen.

© SZ vom 13.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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