Lehrermangel:Studenten und Künstler ans Lehrerpult

Lehrermangel an Grund- und Mittelschule

An Grund- und Mittelschulen fehlen Dutzende Lehrer.

(Foto: dpa)
  • An den Grund- und Mittelschulen im Landkreis München herrscht akuter Personalmangel.
  • Derzeit werden Studierende direkt aus dem Hörssal rekrutiert, auch Fachleute ohne pädagogischen Hintergrund werden gesucht.
  • Die Regierung von Oberbayern hat dem Staatlichen Schulamt ein zusätzliches Budget zur Verfügung gestellt.

Von Iris Hilberth

Lehramtsstudium noch nicht abgeschlossen? Kein Problem. Der Personalmangel an Grund- und Mittelschulen im Landkreis ist mittlerweile so akut, dass das Staatliche Schulamt die angehenden Lehrer gerne schon mal direkt aus dem Hörsaal ins Klassenzimmer holt, selbst wenn das Staatsexamen noch fehlt. Auch Trainer aus dem Sportverein sind willkommen und für Künstler, Musiker und Religionspädagogen gibt es offenbar auch einige Aufgaben an den Schulen.

Die Liste des "einsetzbaren Personenkreises" in der Stellenausschreibung ist lang. Veröffentlicht hat sie die Regierung von Oberbayern, die dem Staatlichen Schulamt ein zusätzliches Budget zur Verfügung stellt. Rund 3000 Stunden können damit von Februar bis Juli bezahlt werden, wie deren Pressesprecher Martin Nell mitteilt.

Mit den befristeten Neueinstellungen von Lehramtsstudenten, Rückkehrern aus Beurlaubung, Pensionisten sowie Quereinsteigern, also sogenannten Drittkräften, soll die mobile Reserve im laufenden Schuljahr aufgestockt werden. Dieser Pool an flexiblen Lehrkräften, die nach Bedarf an den verschiedenen Schulen eingesetzt werden, ist aufgrund von vielen Schwangerschaften und Langzeiterkrankten ausgeschöpft, wie das Landratsamt mitteilt. 63 solcher mobilen Lehrer stehen dem Schulamt im Landkreis München zur Verfügung, 61 von ihnen sind derzeit für einen längeren Zeitraum fest eingesetzt, sodass sie für kurzfristige Vertretungen ausfallen.

"Vertretungen für wenige Tage können die Schulen meist selbst organisieren, doch bei langfristigen Ausfällen wird es schwierig", sagt Schulamtsleiterin Evelyn Sehling-Gebranzig. In diesem Jahr sei die Situation besonders prekär. "So viele Schwangerschaften hatten wir noch nie", gibt sie zu. Die Lage sei zwar nicht so dramatisch, wie die Stellenausschreibung vielleicht vermuten lasse. Wegen der vielen jungen Lehrkräfte im gebärfähigen Alter rechnet die Schulrätin aber mit weiteren Ausfällen. "Wir wollen lieber vorbauen und genügend Reserve haben, als dass wir uns erst dann nach Alternativen umschauen müssen." Mindestens zwei Lehrkräfte braucht das Schulamt sofort, um die Ausfälle zu kompensieren.

Die Fluktuation bei Lehrern ist in der Stadt und im Landreis München besonders hoch. "Es kommen viele Hochschulabsolventen aus den nördlichen Regierungsbezirken zu uns, die aber langfristig nicht hier bleiben", erklärt die Schulamtsleiterin. Durch die steigenden Schülerzahlen nehme auch der Bedarf an Lehrkräften stetig zu. Allein in diesem Schuljahr seien 150 neue Lehrer dazugekommen.

"Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt"

Woher weiteres Personal nehmen? Im Schul- und Landratsamt weiß man: "Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt." Überall in Bayern werden Lehrkräfte für den Grund- und Mittelschulbereich gesucht. Inzwischen reicht schon eine Gesamtprüfungsnote von 3,5, um eine Anstellung zu bekommen. Aber selbst dann reicht die Anzahl nicht.

"Wenn nicht ausreichend Bewerber mit einer Lehramtsausbildung für das Lehramt an Grund- oder Mittelschulen zur Verfügung stehen, um notwendige Vertretungen abzudecken, ist der Einsatz von darüber hinausgehendem Lehrpersonal, von fachwissenschaftlich adäquat ausgebildeten Personen, Lehramtsstudenten höherer Semester oder Referendaren vorgesehen", bestätigt der Sprecher der Regierung von Oberbayern. Für Drittkräfte gilt: Sie dürfen nicht im Pflichtunterricht eingesetzt werden. "Und wir werden natürlich Studierende nicht mit einer Klassleitung betrauen", betont Sehling-Gebranzig.

Dass die Lage auch in naher Zukunft angespannt bleibt, bestätigt die aktuelle Prognose zum Lehrerbedarf aus dem Kultusministerium. Demnach steigt der Bedarf an Lehrkräften bei Grund- und Mittelschulen bis 2020 weiter stärker an als die Zahl der Absolventen. 910 Lehrer werden in drei Jahren für die Mittelschulen gesucht, aber nur 590 werden mit dem Studium fertig. Für die Grundschulen werden 1 330 Absolventen und 1 620 offene Stellen vorhergesagt. Das Kultusministerium hofft daher, dass die Studienanfängerzahlen "keinesfalls" zurückgehen.

BLLV will das Lehramtsstudium reformieren

Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, sieht die Probleme so nicht gelöst. Die Schulen befänden sich in einer Krisensituation, "die schaffen das nicht mehr". Durch Mehrarbeit und Zusammenlegen von Klassen versuchten sie Unterrichtsausfall zu verhindern. Zwar sei die mobile Reserve aufgestockt worden und Gymnasial- und Realschullehrer befänden sich in der Umschulung. Aber das reiche nicht.

"Wenn am Ende eine Stewardess aus Nordrhein-Westfalen in einer Grundschule unterrichtet, ist das auch keine Lösung", sagt Fleischmann. Sie plädiert dafür, das Studium zu reformieren und mit einer Grundausbildung jeden Lehramtsanwärter auf alle Schulformen vorzubereiten. Dadurch ließe sich vermeiden, am Bedarf vorbeizuplanen. Damit einhergehen müsse eine gleiche Bezahlung.

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