Lange Nacht der Museen:Barockes Actionkino und der Zahn des Sauriers

Vom Altmeister bis zur Wildsau: SZ-Redakteure stellen ihre Lieblingssammlungen in München vor und geben zehn persönliche Empfehlungen, die nicht nur bei der Langen Nacht der Museen gültig sind.

10 Bilder

Wiedereröffnung der Schack-Galerie, 2009

Quelle: Alessandra Schellnegger

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Mehr Spitzenwerke der Malerei in einem einzigen Saal kann kein Museum der Welt bieten. Es sind zwar nur Kopien der berühmten Gemälde von Tizian, Giorgione und Bellini, die im großen Saal der neu eingerichteten Schack-Galerie zu sehen sind, doch sie stammen von den größten Könnern des Gewerbes, von Meistern wie Lenbach - und erschließen die Werke aus einer Nähe, die an den Originalorten, also in Kirchen und Großmuseen, gar nicht möglich wäre. Auch sonst hat sich die Schack-Galerie in den letzten Jahren wundersam verjüngt. Die phantastischen Visionen von Arnold Böcklin werden nun auf blauem, die klassischen Kompositionen Anselm von Feuerbachs auf rotem Grund lebendig. Und wer deutsche Märchen und Sagen liebt, wird von Moritz von Schwind phantasievoll bedient.

Gottfried Knapp

Alte Pinakothek in München, 2005

Quelle: SZ

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Die Alte Pinakothek ist ein Grund, München nicht nur zu besuchen, sondern gleich herzuziehen. Natürlich, es gibt in Dresden und Berlin auch schöne und wichtige Altmeister zu sehen, in Wien, London, Paris und Washington sowieso. Aber die üppige Weltklassesammlung in dem einst passgenauem, jetzt viel zu kleinem Bau Leo von Klenzes ist ein einzigartiger barocker Rausch. Für Rembrandts traurige "Kreuzabnahme" muss man kein Katholik sein. Vor Rubens' "Löwenjagd" erkennt auch ein 15-Jähriger, wie fade Actionkino im Vergleich zu diesem Kampf gegen die Biester der Welt ist. Und das streitende Ehepaar versöhnt sich vor Rubens' händchenhaltendem Selbstporträt mit Gattin in der Geißblattlaube. Die Alte Pinakothek hilft in allen Lebenslagen.

Kia Vahland

Blicke auf Europa. Europa und die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts

Quelle: ddp

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Der Nachteil des 19. Jahrhunderts: Es gehen immer weniger Leute hin, weil es sie stärker entweder zu Altmeistern oder zur Moderne zieht. Der Vorteil des 19. Jahrhunderts: Es gehen immer weniger Leute hin, und so hat man ruhige, großartige Kunsterlebnisse. Einer der schönsten Orte Münchens ist der Rottmann-Saal in der Neuen Pinakothek. In dezent grauer Betonwand - der Raum wurde 2003 neu gestaltet - ist eine Auswahl der griechischen Landschaften eingelassen, die Hofmaler Carl Rottmann für den Hellas-Schwärmer Ludwig I. schuf: Sparta, Ägina, Marathon, Olympia ... "Gräulich schön" ist dieses Griechenland, wie der Maler selbst sagte, als er es bereiste, lange bevor die Touristen kamen. Denn zu sehen ist ein von allen Göttern verlassenes, karg gewordenes Sehnsuchtsland, unwiederbringlich - und deshalb auch so ungeheuer anziehend.

Johan Schloemann

Sonderausstellung im Museum Reich der Kristalle in München, 2009

Quelle: SZ

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Wer wissen will, wie köstlich Kristalline schmecken oder was für ein erlesenes Aroma Sedimentgesteine im Abgang haben können, der kehre während der langen Nacht zwischendurch mal im Geologischen Museum in der Luisenstraße ein: Wie jedes Jahr werden hier wieder Weine verkostet, diesmal fünf Chiraz-Sorten von allen fünf Kontinenten, aus Chile, Kalifornien, Australien, Spanien und Südafrika, dekantiert von Geologieprofessoren, den wahren Connaisseuren der Erdgeschichte. Man zwitschert sich inmitten von Gesteinsproben einen an und erfährt zugleich etwas über die Böden, auf denen diese Weine wachsen - pädagogisch magenstärkender geht kein anderes Museum in München vor. Für den Absacker danach unbedingt noch rüberschlendern in die Paläontologische Sammlung, immer den Geisterbahnlichtern nach, in die die Zähne-Ausstellung gehüllt ist, dort gibt's nämlich, inmitten von Brontosaurierhauern und Mäusezähnen, das erste "Paläo-Café" der Welt.

Alex Rühle

Kunstverein München

Quelle: Andreas Heddergott

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Ohrenschützer gehören eigentlich nicht zum Standardoutfit eines Vernissagegastes, doch im Kunstverein München sollte man auf alles gefasst sein: Als kürzlich die Ausstellung des Schweizer Künstlers Tobias Madison eröffnete, trat dabei eine asiatische Trommelgruppe auf. Ihre Darbietung war ohrenbetäubend. Die traditionsreiche Institution, die seit 1823 in den historischen Arkaden des Hofgartens zu Hause ist, mutet ihren Besuchern gerne etwas zu. Leicht konsumierbar ist die zeitgenössische Kunst, die der Direktor Bart van der Heide mit seinem jungen Team dort zeigt, nie. Dafür gerne politisch, gesellschaftskritisch und oft schmerzhaft genau mit ihrem Fingerzeig auf das Elend unserer Zeit. Erholung verspricht da nur der hübsche Hofgarten vor der Tür.

Laura Weißmüller

Entscheidung ueber neue Heringsquote schon in den naechsten Tagen

Quelle: dapd

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Die Wildnis liegt mitten in der Fußgängerzone. Neuhauser, Ecke Ettstraße. Das Deutsche Jagd- und Fischereimuseum ist so etwas ähnliches wie ein Zoo, nur dass die Tiere hier ausgestopft sind. Dafür lassen sie sich hier anfassen. Und wo kann man schon mal eine Wildsau streicheln? Fast 1000 präparierte Säugetiere, Vögel und Fische stellt dieses Museum aus. Es sind in erster Linie Familien mit Kindern, die sich durch die Gänge pirschen. Und lodenberockte Jagdfreaks. Die Kinder bekommen Tiere zu sehen und zu hören, die ihnen in den Wäldern des Umlands bestenfalls zufällig über den Weg laufen. Die Jagdgenossen wiederum ergötzen sich an alten Waffen, Jagdgemälden und mächtigen Trophäen. Beim Anblick der Geweihe bekommt der Waidmann Kinderaugen.

Rudolf Neumaier

Lenbachhaus in München, 2006

Quelle: Stephan Rumpf

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Wer sehen will, wie ein wunderschöner Museumsbau verhunzt wird, muss noch einmal das denkmalgeschützte Lenbach-Haus in der Luisenstraße besichtigen - oder besser die Baustelle dazu. Hier tobt ein Stararchitekt, legt gewaltsam eine mächtige Betonspange über einen der italienischen Renaissance nachempfundenen Altbau. Was haben sich die rot-grünen Betoncäsaren der Stadt München (die Klenze-Post-Vernichter!) dabei gedacht, den Briten Norman Foster zu beauftragen, für 56 Millionen Euro das Museum zu erweitern?

Sie hätten sich doch nur an die eigene Vergangenheit erinnern müssen: An Hans Döllgast, der in der Alten Pinakothek und in der Residenz gezeigt hat, wie Schnittstellen von Alt- und Neubau architektonisch gestaltet werden können. Auch der Venezianer Carlo Scarpa hat im Museum Castelvecchio in Verona vorgemacht, wie man als Architekt behutsam und überlegt mit historischer Bausubstanz umgehen kann. Am Lenbachhaus aber scheint alles schief zu laufen, wird brutal saniert. Der Charme der ockergelben Villa im toskanischen Stil ist jetzt schon weg; die Pappeln sind gestutzt, die Robinien gefällt, der antiquarische Ruinencharme ist verflogen. Ein Stück Toskana, ein kleines Italien, das München am Königsplatz Leichtigkeit gegeben hat, ist untergegangen.

Stattdessen kommt ein kubusförmiger Anbau mit vertikalen, bronzefarbenen Stäbchen (wie am Brandhorstmuseum). Vielleicht werden es auch noch Stäbchen aus Messing, im Moment sieht es mehr nach Stammheim aus. Auf jeden Fall wird es eine geschmäcklerische Fassade, an der sich Passanten und Besucher so schnell satt sehen werden wie an den Hertie-Filialen in Recklinghausen und Regensburg.

Hans Werner Kilz

Harfen im Münchner Stadtmuseum, 2010

Quelle: SZ

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Ein Museumsbummel ohne Abstecher ins Stadtmuseum wäre wie Allianz-Arena ohne FC Bayern. Das ehrenwerte Haus am St.-Jakobs-Platz ist das größte Kruschkastl der Stadt München. Unvorstellbar viele kulturhistorische Preziosen schlummern in den Depots, selbst der eifrigste Besucher wird immer wieder neue Überraschungen erleben. Nehmen wir nur die aktuelle Oktoberfestausstellung, die sogar Wiesnmuffel begeistert. Hundert Wiesnbesuche hintereinander reichen nicht hin, um die Seele dieses Volksfestes so einzufangen wie die betörenden Relikte aus 200 Jahren Geschichte. Von außen wirkt das Stadtmuseum selber wie ein angestaubtes Relikt. Aber seine wahren Werte liegen im Inneren. In den Dauerausstellungen zur Stadtgeschichte und zum Nationalsozialismus in München, in den Sammlungen Fotografie und Musik. Und gleich daneben das Café im Stadtmuseum, Lieblingsort aller Innenstadtflanierer.

Hans Kratzer

Installation des chinesischen Kuenstlers Ai Weiwei am Haus der Kunst

Quelle: ddp

9 / 10

Das Haus der Kunst ist eines der wunderbarsten Museen der westlichen Welt. Das liegt nicht nur daran, dass hier zeitgenössische Weltkunst von Leuten wie Gerhard Richter, Ai Wei Wei oder William Eggleston in einem wirklich großzügigem Rahmen gezeigt wird. Das Haus der Kunst ist auch einer der wenigen Orte, an denen man München als wirkliche Weltstadt erleben kann. Weil gleich daneben die weltberühmten Eisbach-Surfer in der Welle stehen. Weil die Goldene Bar eine der angenehmsten Trinkhallen der Stadt ist. Weil im P1 immer noch die Berufsfussballer, B-Sternchen und C-Promis mit den lokalen Stenzen und Mausis Champagner trinken. Und weil der Museumsdirektor Chris Dercon das Haus der Kunst zwischen Museum of Modern Art, Art Basel und Biennale in Venedig als absolute Pflichtstation des wunderbar hysterisch glamourösen Wanderzirkus des Kunstbetriebs gemacht hat. Jetzt geht Dercon nach London. Einen ebenbürtigen Nachfolger zu finden wird eine große Aufgabe sein.

Andrian Kreye

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Quelle: Stephan Rumpf

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Wer heute sehr viel Geld, aber nicht unbedingt viel Stil hat, hängt sich Originalabzüge von Meisterfotografen wie Mario Testino oder Peter Lindbergh ins Schlafzimmer: junge Frauen mit makellosen Körpern, die in jedem Pirelli-Kalender bestehen könnten. In früheren Jahrhunderten, als es noch keine Supermodels gab, ließen sich Kunstfreunde die inszenierte Weiblichkeit etwas kosten - in der Schönheitengalerie in Schloss Nymphenburg kann man die grazilen Kunstwerke des Münchner Hofmalers Joseph Karl Stieler leider nur tagsüber bewundern. In diesem Kabinett hängen 36 Porträts adliger und bürgerlicher Damen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auftraggeber König Ludwig I. besaß ein Faible für charaktervolle, elegante, modebewusste Frauen - von der staatspolitisch höchst bedenklichen Liebschaft Lola Montez über die Schauspielerin Charlotte von Hagn bis hin zur Schustertochter Helene Sedlmayr. Der Betrachter freut sich noch immer über so viel Anmut, so viel wohl proportionierte Sinnlichkeit, die kein modernes Supermodel bei Mario Testino je erreichen wird.

Christian Mayer

© SZ vom 16.10.2010/juwe
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