Landkreis München:Sinnvolle Investition

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Als sogenannte Optionskommune ist der Landkreis München selbst für die Jobvermittlung verantwortlich. (Foto: Claus Schunk)

Im Münchner Umland sind die Sozialausgaben in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Was unterJohanna Rumschöttel (SPD) begann, führt CSU-Landrat Christoph Göbel fort und sagt: Prävention ist alles

Von Stefan Galler und Iris Hilberth

Gutes zu tun kann ein teures und bisweilen anstrengendes Vergnügen werden. Das wissen nicht nur Menschen, die sich freiwillig und rein privat dem Spenden und Spendensammeln verschrieben haben. Doch diese Wohltäter haben den Vorteil, ihr Engagement selbst zu steuern. Das gilt für Kommunen in einem Wohlfahrtsstaat nicht. Und so kämpfen diese Jahr für Jahr mit höheren Kosten. Die Erfüllung ihrer sozialen Pflichten ist für die Gemeinden in den vergangenen Jahren zur Mammutaufgabe geworden - und oftmals der Grund für regionale Haushaltskrisen.

Eine Tatsache, die zuletzt durch die Veröffentlichung einer Studie der Bertelsmann-Stiftung untermauert wurde. Demnach sind die Sozialausgaben von Städten und Landkreisen in Deutschland trotzt der guten Konjunktur in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. Hatten die Kosten, zu denen als drei Hauptsäulen die Sozialhilfe, Wohnungszuschüsse für Langzeitarbeitslose/Hartz-IV-Empfänger und die Jugendhilfe zählen, im Jahr 2005 bundesweit noch etwa 51 Milliarden Euro betragen, so waren es 2014 bereits 78 Milliarden Euro. In ihrer Studie sehen die Wissenschaftler es als belegt an, dass die Sozialausgaben desto höher sind, je strukturschwächer eine Region ist.

Doch diese Entwicklung macht auch dem strukturstarken Landkreis München zu schaffen. Hier stiegen die Sozialausgaben prozentual sogar noch deutlicher. Und das hat nicht allein damit zu tun, dass auch die Ausgaben für Personal, Gebäude oder Einrichtung für die Kinderbetreuung dem Sozialwesen zugeordnet werden. Während alle Kommunen mit dem Ausbau der Kindergärten und Krippen in diesem Bereich inzwischen jedes Jahr mehrere Millionen zu stemmen haben, hat auch der Kreis bei seinen Zuständigkeiten mittlerweile einen großen Brocken zu schultern: Netto hat der Kreis im Jahr 2005 33,4 Millionen Euro in diesen Bereich gesteckt, neun Jahre später waren es bereits 57,0 Millionen Euro - und der Haushaltsansatz für 2015 sieht Ausgaben in Höhe von 70,8 Millionen Euro vor . Das entspricht einer Zehn-Jahres-Steigerung von mehr als 100 Prozent. Etwa 20 Prozent der Kreisumlage fließen jedes Jahr in soziale Ausgaben des Landkreises. Die Planstellen haben sich im Kreisjugendamt in den vergangenen zehn Jahren um 45 Vollmitarbeiter erhöht.

Landrat Christoph Göbel (CSU) nimmt die Entwicklung gelassen, zumal diese Kostenexplosion für ihn relativ leicht erklärbar ist: "Ein ganz großer Anteil daran ist sozusagen selbst verschuldet, weil wir sehr viel Geld in den präventiven Bereich der Jugendhilfe stecken", sagt Göbel. Das sei schon bei seiner Vorgängerin Johanna Rumschöttel (SPD) so gewesen. Das sieht Susanne Tausendfreund (Grüne), stellvertretende Landrätin und Bürgermeisterin von Pullach genauso. "In den Jahren vor Frau Rumschöttel hatte es lange eine Tendenz gegen Sozialausgaben gegeben", erinnert sie sich. Die Grüne, die ununterbrochen seit 31 Jahren im Kreisrat sitzt, sagt: "Es war lange vor allem darum gegangen, die Kosten zu drücken. Aber das war ein falscher Weg", wie sie findet. In der Amtszeit von Johanna Rumschöttel sei das Bewusstsein gewachsen, dass sich Investitionen in Prävention langfristig auszahlten. Susanna Tausendfreund verweist auf Investitionen in eine verbesserte Jugendhilfe und in gute Beratungsangebote wie etwa die Fachstelle für die Verhinderung von Obdachlosigkeit oder eine verbesserte Familienberatung. "Auch wenn wir ein sehr wohlhabender Landkreis sind, ist bei uns deutlich erkennbar, dass die Schere zwischen Arm und Reich deutlich auseinandergeht", sagt sie. Als Beispiel nennt die Grünen-Politikerin die enorme Zunahme an Berechtigten, die auf die Essensversorgung an den Tafeln angewiesen sind. Tausendfreund ist daher froh, dass der jetzige Landrat Göbel den eingeschlagenen Weg fortsetzt.

"Allein 2014 haben wir 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor in die Prävention gesteckt und decken damit Bedarfe ab, die man vorher gar nicht gesehen hat", sagt der Landrat. Dabei gehe es keineswegs nur um soziale Brennpunkte. Vielmehr sei es in der heutigen Leistungsgesellschaft auch notwendig, beispielsweise Schüler zu betreuen, die durch Frusterlebnisse psychologische Begleitung bräuchten. "Als ich in meiner Zeit als Gräfelfinger Bürgermeister am Gymnasium die Jugendsozialarbeit einführen wollte, gab es gleich eine heftige Gegenbewegung", sagt Göbel. "Da sagten einige, sie wollen mit sozialen Problemen an ihrer Schule nichts zu tun haben", berichtet er rückblickend. "Ich musste ihnen erst erklären: Pustekuchen, hier geht es vor allem darum, die Schüler im Leistungsdruck nicht allein zu lassen."

Überhaupt nimmt der Landkreis München bei seinen Sozialausgaben im Vergleich zu vielen anderen Gebietskörperschaften eine Sonderposition ein. So machen die Zuschüsse zu Wohnungen von Langzeitarbeitslosen hier bei weitem weniger aus als in anderen Gegenden, was klarerweise an den geringeren Arbeitslosenzahlen liegt: Im Kreis sind nur drei Prozent der Erwerbsfähigen ohne Beschäftigung, davon allerdings auch wiederum nur ein Prozent langfristig. "Wenn der Bund sich nun bereit erklärt, das Wohngeld für Hartz IV-Empfänger zu übernehmen, dann bringt das uns als Landkreis München nicht viel. Auch wenn der Vorschlag gut ist", sagt der Münchner Landrat Göbel.

Sehr wohl ins Kontor schlagen die zusätzlichen Kosten, die der Landkreis zu tragen hat, seit er als sogenannte Optionskommune selbst für die Vermittlung von Arbeitslosen zuständig ist. "Zwar sind dadurch auch die Einnahmen deutlich gestiegen, weil wir ja die Personalkosten erstattet bekommen und die Leistungen sowieso aus Bundesmitteln kommen", sagt Göbel. Organisatorisch laufe jedoch noch nicht alles rund und dann koste es eben Geld, wenn man mit großem Aufwand Leute wieder in Beschäftigung bringe. "Aber es ist halt auch viel effektiver, weil wir näher dran sind an den Leuten als die Bundesagentur in Nürnberg und gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer nachqualifizieren können."

Die gestiegenen Anforderungen im Bereich Asyl haben dagegen zumindest auf den ersten Blick keine Auswirkungen auf die Sozialausgaben, weil die Unterbringungskosten vom Freistaat beziehungsweise vom Bezirk getragen werden. Kosten bleiben erst hängen, wenn Flüchtlinge anerkannt sind, übergangsweise jedoch noch in den öffentlichen Einrichtungen wohnen. "Ich habe der Regierung von Oberbayern für das Jahr 2014 einfach mal 70 000 Euro für diese sogenannten Fehlbeleger in Rechnung gestellt", sagt der Landrat. "Und sie haben das Geld auf Heller und Cent überwiesen."

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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