Lach- und Schießgesellschaft:Hildebrandt, der Alterswilde

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Der alte Herr schießt scharf gegen Gott und Gottes Bodenpersonal: Dieter Hildebrandt gelingt mit seinem neuen Programm "Ich kann doch auch nichts dafür" eine Sternstunde des Kabaretts.

Eva-Elisabeth Fischer

Im Rätsel eines alten Griechen - war es Sokrates? - wird danach gefragt, welches Geschöpf erst auf vier, dann auf zwei und schließlich auf drei Beinen laufe. Die Antwort: der Mensch. Dieses Exemplar der Spezies homo erectus, ein Mann am Stock, bestätigt das. Er sagt "G80" und geht. Das mit den 80 ist geschmeichelt, denn eigentlich ist Dieter Hildebrandt ja schon 83. G8 trifft demnach vielleicht grad noch seine Enkel.

Es rumort hinter Hildebrandts großen Brillengläsern: In der Münchner Lach- und Schießgesellschaft feuert er zwei Stunden lang eine Suada ab. (Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Google Earth war da schon abgehakt, als er ging, das Gehen im allgemeinen, sein Gehen mit den Hunden im besonderen, auch. Weil er geht, muss er wahrscheinlich nicht abtreten. Das hat er so manchen Politikern voraus, die er an diesem Abend vor aller Ohren genüsslich grillt.

Roland Koch gibt er noch post festum eins mit; denn der habe ja geschworen, dass er vom Volk Schaden abwenden wollte. Generell wähnt Hildebrandt eher den Teufel am Werk als den lieben Gott. In der Schusslinie stehen die unbotmäßigen Stellvertreter des Einen auf Erden, "Gottes Bodenpersonal", wie Fritz Kortner die nannte. Hildebrandt schießt scharf, kommentiert den jüngsten Skandal, an Mixa-Verteidiger Bischof Gerhard Ludwig Müller gerichtet, als galliges Bonmot: "Das ist in Bayern kein Missbrauch, sondern Brauch."

Hinter Hildebrandts großen Brillengläsern, den altmodischen, die fast schon wieder modisch sind, rumort es, er wird seines Amtes nicht müde und hat eine wundersame Regression angetreten. Der alte Herr wird zum juvenilen Spötter, verwandelt sich zurück in den, der er zu seinen besten Zeiten war. Auch wenn er - einziges Zugeständnis an die späten Jahre - im Sitzen manchmal abliest, was er so abfeuert in satten zwei Stunden Suada plus Pause.

Sein Solo hätte sein zehntes Buch werden sollen mit dem Titel "Mit 90 in die Kurve". Vielleicht war's das ja gar nicht, dass ein Kollege ihm den Titel vorweggenommen hat, weshalb er's nicht geschrieben, sondern ein Kabarett-Solo daraus gestrickt hat. Vielleicht war's auch das subkutane Wissen um große Komponisten, die, so sie an ihrer Zehnten schrieben, prompt den Löffel abgaben.

Hildebrandts hingeschnoddertes "G80" setzt den Schlussakkord zur Stretta. Da wedelt er mit den Armen, stößt sich vom Stuhl hoch, tigert herum, und klopft mit dem Stock den Rentner-Rap. Wir haben ihn wieder in Höchstform, den Sprach-Kakophoniker, den Stotterer, den Haspler, den Elipsen-Sprüher und Wortduscher, den Extemporierer, den professionellen Abwatscher. 1956 stand er zum ersten Mal auf der Handtuchbühne der Lach- und Schießgesellschaft, die er just mit Samy Drechsel gegründet hatte, und führte seine Schnauze in jedem Programm solo spazieren.

1963 ging das Quartett auf Sendung, und jeder wartete auf seinen Alleingang im "Schimpf vor zwölf", dem biennalen Silvestercoup der Lach- und Schieß. Unser totgesagter Kabaretthäuptling lebt also noch. Und er riecht nicht mal! Sein jüngstes Solo ist also nichts anderes als die damals ersehnte Verlängerung seiner monologischen Einlage. Nein, es gibt nichts zu befürchten. Das geht gut. Seine Opfer sind allerdings längst nicht mehr das, was sie einmal waren.

Heute heißen seine Lieblingsfeinde Annette Schavan ("Die mag ich nicht") oder Guido Westerwelle ("So viel Aufhebens um eine Tüte Juckpulver"). Er richtet die Haubitze auf die Sparpläne des Herrn Von und Zu für die Bundeswehr und deren Soldaten: "Beim Abgeben eines Schusses müssen sie laut ,Knall!' sagen." Er selbst hat damit sein Pulver längst noch nicht verschossen. Er lästert ein wenig über den Chip der Frau Von Der, auf dass "die Kinder ihren Eltern nicht das Theater wegsaufen".

Die Kalauer gehen ihm flott von der Zunge, und er schämt sich nicht mal, "Döner zweier Herren" über die Türken in der EU, "Greisverwaltungsreferat" über Brüderles Rentenpolitik aus dem Mund fallen zu lassen. Und man kann von ihm immer noch flotte Sprüche heimtragen wie diesen: "Lieber einmal richtig besoffen als ununterbrochen betroffen."

So manches, was er da in ungebremst schwallender Komik verhackstückt, ist thematisch rum ums Eck - Psycho-Gruppen, verordnete Selbstfindung ("Ich hab mich doch gar nicht gesucht!") Lach-Yoga oder der Zweite Weltkrieg. Hildebrandt aber ist so gut, dass er nicht einmal mehr aktuell sein muss. Mit dem Furor zeitloser Empörung ergießt er sich über sich turnusmäßig regenerierende Ungerechtigkeiten, politische und soziale Schweinereien und den tiefwurzelnden Giersch im kunterbunten, reichlich verkommenen Menschengarten, nämlich die unausrottbare Dummheit und die Weigerung aller Hirnlosen dieser Erde in mächtigen Positionen, für ihre Saubeuteleien die Verantwortung zu übernehmen.

"Ich kann doch auch nichts dafür" heißt sein Rundumschlag gegen Neonazis, Guantanamo, Schlecker und Lidl, eine Tour d'horizon durch Hirn eines notorischen Zeitungslesers, Zeitkritikers und Moralisten durch und durch als schweißtreibende Tour de force zu größter Freude des Publikums.

© SZ vom 26.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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