Kriminalität:Bande sprengt Geldautomaten

Kriminalität: Die Deutsche Bank in der Naupliaallee in Ottobrunn ist gleich zweimal Ziel der Täter geworden.

Die Deutsche Bank in der Naupliaallee in Ottobrunn ist gleich zweimal Ziel der Täter geworden.

(Foto: Claus Schunk)
  • Im Münchner Südosten sprengt eine Bande mehrere Geldautomaten.
  • Für die Münchner Polizei ist diese Form der Kriminalität relativ neu.
  • Die Automaten sprengsicher zu machen, ist möglich, aber kostspielig.

Von Christina Hertel, Ottobrunn

Mittwoch, 0.30 Uhr, Ottobrunn: Drei Männer steigen aus einem dunklen Sportwagen, sie betreten eine Filiale der Deutschen Bank, in der Nähe sind ein Autohaus, eine Pizzeria, ein Vietnamese. Sie leiten Gas in den Geldautomaten, dann zünden sie das Gemisch an. Es knallt, der Automat explodiert. Die drei Männer nehmen mehr als 100 000 Euro mit und rasen davon.

Ein Tag später, 1.10 Uhr, Grünwald: wieder Deutsche Bank, wieder Männer in einem dunklen Sportwagen, wieder sprengen sie den Automaten mit Gas, stehlen etwa 100 000 Euro. Das Gleiche passiert in der Woche darauf noch zwei Mal. Am Dienstag in Berg am Laim und am Mittwoch wieder in Ottobrunn. Dieses Mal werden die Täter gestört, sie fliehen, bevor sie den Geldautomaten sprengen können.

Die Münchner Polizei geht davon aus, dass die vier Fälle zusammenhängen, dass es sich um eine Serie handelt. Die Täter, sagt Polizeisprecherin Anna Heschl, seien professionell vorgegangen. Sie hätten das Gas so dosiert, dass im näheren Umfeld keine Menschen gefährdet waren. Weil die Ermittlungen ganz am Anfang stehen, könne sie nicht viel mehr sagen. Außer: "Wir hoffen, dass jemand etwas Verdächtiges beobachtet hat." Drei Männer, ein dunkler Sportwagen, vermutlich Marke Audi.

Im Raum München ist diese Form der Kriminalität neu. Anderswo in Deutschlands nicht. Dort flog in den vergangenen zwei Jahren fast jeden Tag irgendwo ein Geldautomat in die Luft. Aus einer Statistik des Bundeskriminalamts geht hervor, dass 2017 rund 270 Geldautomaten gesprengt wurden, 2016 gab es sogar fast 50 Taten mehr. In etwa einem Drittel aller Fälle schlugen die Täter in Nordrhein-Westfalen zu.

Das Bundeskriminalamt weiß, dass diese meist aus Großstädten in den Niederlanden kamen, zum Beispiel Amsterdam oder Utrecht, und dass sie mit "hochmotorisierten Kraftfahrzeugen" oder Motorrollern flüchteten. Weil die Polizei in Nordrhein-Westfalen intensiv ermittelte und mit den niederländischen Behörden zusammenarbeitete, seien die Fallzahlen dort rückläufig.

Der unschöne Nebeneffekt: In dem Nachbarbundesland Rheinland-Pfalz nehmen seither die Fälle zu. Dort gab es 2017 fast fünfmal so viele Sprengungen wie im Jahr zuvor. Offensichtlich weichen die Täter aus. Ziehen sie jetzt also nach Bayern? Fakt ist: Noch gibt es vergleichsweise wenige Sprengungen von Geldautomaten im Freistaat. Gerade einmal rund zehn Fälle zählte das bayerische Landeskriminalamt 2017. Doch es schreibt auch, dass die "intensiven polizeilichen Maßnahmen" in besonders stark betroffenen Bundesländern zu einem Ausweichen der Täter geführt haben könnten.

Tintenpatronen können Scheine bei einer Sprengung einfärben

Entsprechend aufmerksam beobachtet die bayerische Polizei diese für sie neue Form der Kriminalität. Warum sich die Täter den Landkreis München ausgesucht haben, kann die Polizei nicht sagen. Es sei aber auf jeden Fall kein großstädtisches Phänomen. Taten ereigneten sich auch in eher ländlichen Regionen wie Aschaffenburg, Augsburg, Würzburg oder Regensburg.

Seitdem der erste Geldautomat in Köln gesprengt wurde, sind mehr als zehn Jahre vergangen. Warum können sich Banken vor dieser Form der Kriminalität nicht besser schützen? Eine Frage, mit der sich Bernd Redecker befasst. Er ist Sicherheitsexperte für die Firma Diebold Nixdorf, von der nach eigenen Angaben jeder dritte Geldautomat in Deutschland stammt.

278 Automaten

wurden laut Bundeskriminalamt 2017 gesprengt. In fast der Hälfte der Fälle konnten die Täter Geld erbeuten. Brennpunkt ist Nordrhein-Westfalen. 2017 sprengten Täter dort 92 Geldautomaten - neunmal so viel wie in Bayern. Die Täter waren meistens in Gruppen unterwegs. Häufig hatten sie einen niederländischen Pass und einen marokkanischen Migrationshintergrund. Sie flohen von den Tatorten mit schnellen Autos. 35 Personen wurden 2017 in diesem Zusammenhang

Es sei möglich, die Tresore in den Geldautomaten so auszustatten, dass sie den Druck der Explosion ableiten. Bei einer Sprengung werde der Automat zwar trotzdem beschädigt, doch er öffne sich nicht, sagt Redecker. Der Täter kommt also nicht an das Geld heran. Eine weitere Möglichkeit: Tintenpatronen färben die Scheine bei einer Sprengung ein. In den Niederlanden seien Automaten heute flächendeckend so ausgerüstet. Auch in Deutschland steige die Nachfrage. Doch warum gibt es solche Automaten noch nicht überall?

Beide Maßnahmen kosten Geld. Ein neuer Automat mit einem besser geschützten Tresor ist laut Redecker fast 20 Prozent teurer. Und die Tintenpatronen kosteten fast tausend Euro pro Geldkassette. Auch Ortrud Wenzel, Sprecherin des Unternehmens NCR, das ebenfalls Geldautomaten herstellt, meint: Der Investitionsaufwand für die Banken sei hoch, außerdem müsse ein neues Sicherheitskonzept die ganze Bank umfassen.

"Es gibt 58 000 Geldautomaten in Deutschland. Die Zahl der Angriffe liegt im Vergleich dazu im Promillebereich." Einen neuen Automaten würden sich Banken meist erst zulegen, wenn ohnehin ein Austausch notwendig sei - in der Regel nach sieben Jahren.

Die Deutsche Bank, von der fast alle Geldautomaten stammen, die im Raum München in jüngster Zeit gesprengt wurden, möchte sich nicht äußern. Lediglich schriftlich lässt das Unternehmen über einen Sprecher ausrichten: "Wir sind bestrebt, die Balance zu wahren zwischen berechtigten Sicherheitsaspekten und gutem Service für unsere Kunden."

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