Kreis und quer:Zicken erwünscht

Wer Ziegen beobachtet, kann sich so einiges abschauen. Dass ein wenig Streit, ein manchmal biestiges Verhalten gar nicht so schlimm ist etwa - sondern eher ein Vetrauensbeweis

Von Claudia Wessel

In der Bavaria Filmstadt bekommt man einen Euro Rabatt pro Eintrittskarte, wenn man die bayerische Ehrenamtskarte vorlegt. Im Sealife München gibt es einen Rabatt von fünf Euro. Im Schnellrestaurant in Grünwald darf man mit zehn Prozent Ermäßigung speisen. Und das ist bei Weitem noch nicht alles. Eine lange Liste von Geschäften, Einrichtungen und Firmen unterstützt die am 1. Januar 2013 eingeführte Karte, die im Landkreis München etwa 13 000 Menschen haben. Es gibt sie in Blau für drei Jahre und in Gold auf unbegrenzte Dauer. Alle Besitzer der Ehrenamtskarte können außerdem ohne weitere Prüfung den Landkreis-Pass beantragen, der weitere Vergünstigungen beinhaltet. Trotzdem hat so mancher Ehrenamtliche bestimmt schon darüber nachgedacht, die Karte wieder zurückzugeben. Denn nicht alle, denen man Gutes tut, sind dankbar und froh, jedenfalls verfügen nicht alle über die Fähigkeit, diese Dankbarkeit auch rüberzubringen. Jeder, der in einem sozialen Beruf arbeitet, der einen kranken Angehörigen pflegt oder der Flüchtlinge betreut, weiß sicher, dass ein leidender Mensch, der auf Hilfe angewiesen ist, auch mal zickig sein kann.

Zickig? Sind das nicht nur Damen, die immer genau etwas anderes wollen, denen Mann es nie recht machen kann und die einfach nicht harmoniefähig sind? Nein, weiß man auf dem Begegnungshof Wörnbrunn, rumzicken kann auch jemand, bei dem ein Helfer von der Nachbarschaftshilfe Grünwald klingelt, in dessen Wohnung also ein ehrenamtlicher Fremder eindringt, der ihm vor Augen führt, dass er nun nicht mehr selbständig leben kann. Zickig kann vielleicht auch mal ein Flüchtling sein, für den ein Helferkreis alles tut - außer ihm sein altes Leben und seine Heimat wiederzugeben. Zickig kann auch ein schwer kranker liebender Partner sein, einfach weil er sich schlecht fühlt und seinen Dank nicht jede Minute deutlich machen kann.

Die Psychologie sagt ja, nur ein Kind, das sich auch traut, den Eltern gegenüber biestig zu sein, hat echtes Vertrauen zu ihnen. Es riskiert den Konflikt, weil es sicher ist, dass dadurch die Beziehung nicht kaputt gehen kann. Im Grunde also ist ein zickender Mensch der beste Vertrauensbeweis. Und nichts anderes will letztlich auch ein Seminar auf dem Begegnungshof Wörnbrunn zeigen, das den Titel "Zickiges Gemecker - vom Umgang mit schwierigen Personen" trägt. Erfunden wurde es für die Ehrenamtlichen der Nachbarschaftshilfe Grünwald, die nicht selten auf mürrische Klienten trafen. Durch die Beobachtung der Hof-Ziegen, die sich heftig anzicken, das Ganze aber in der nächsten Sekunde vergessen haben, lernten sie, scheinbar "undankbare" Klienten zu akzeptieren. In einer Zeit, in der das Helfen so wichtig ist, könnte das Seminar wieder gefragt sein. Es sei denn, man glaubt auch so: Wer auch mal zickt, fühlt sich schon fast wie zu Hause.

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