Kreis und quer:Wenn Trennendes verbindet

Die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen adelt den Menschen, sie reißt mit und berauscht. Doch was ist, wenn sie heruntersteigt von der Bühne, Teil des Alltags wird. Dann kann es anstrengend werden

Von Irmengard Gnau

Wie schön ist die Kultur. Bietet sie uns doch Momente des Genusses und der Versenkung, des Innehaltens und Zu-sich-Findens, ja im besten Falle gar der tiefen und wahren Erkenntnis. Kultur bringt Edles hervor und sie adelt denjenigen, der sich ihr hingibt, lässt sie uns doch offen werden für die Reize fremder, unbekannter Welten. Wir berauschen uns am Klangfeuerwerk eines Prokofjew und Schostakowitsch, lassen uns im heimischen Konzertsaal davontragen vom Temperament israelischer Virtuosen, anrühren von der Innigkeit persischer Lyrik, mitreißen von der Lebensfreude amerikanischer Jazzsounds und afrikanischer Beats.

Das Fremde ist reizvoll, es lockt zum Studium und gar zur schüchternen Nachahmung, der Sari und die Oud, die arabische Laute, an der Wohnzimmerwand erinnern stolz an abenteuerliche Ausflüge in andere Kulturkreise, an die wir noch gern zurückdenken, während wir über die heimatliche Straße schlendern. Wenn nur dieser Lärm von gegenüber nicht wäre. Ein seltsames Gedudel aus dem Nachbarhaus, nicht laut, aber doch impertinent, beinahe atonal, ein jammernder Singsang in einer unverständlichen Sprache. Ist das Arabisch? Das klang beim traditionellen orientalischen Schleiertanz im Urlaub irgendwie eingängiger. Auch die Essensdüfte, die aus dem Wohnblock gegenüber kommen, wollen unserer Nase nicht recht schmeicheln. Ungewohnt, seltsam, aufdringlich. Was das wohl ist?

Wenn sie plötzlich nahe kommt, die fremde Kultur, heruntersteigt von der Bühne in den Alltag, ist sie nicht immer angenehm. Kultur hat viele Seiten, sie prägt nicht nur Melodien, sondern eben auch Umgangsformen. Was aus der Distanz exotisch ist und interessant, kann aus der Nähe vor allem ungewohnt sein; Unbekanntes kann stören, Misstrauen hervorrufen, auch mal Angst machen. Wenn so viele verschiedene Traditionen, Sprachen, Töne, Umgangsformen zusammentreffen wie in diesen Monaten, und das binnen kurzer Zeit und unter erschwerten Umständen, ist das vielleicht normal. Doch die Prägung, die uns abgrenzt, weil sie kulturelle Räume absteckt, Rollen und Zusammenleben definiert und oft unbewusste Muster schafft, kann auch eine Chance sein, Brücken zu bauen. Im Großen wie im Kleinen. Bei gemeinsamen Konzerten, wie jüngst in Neubiberg, beim Austausch von Liedgut, bei Kochabenden mit unbekannten neuen Nachbarn.

Kultur lässt Probleme nicht verschwinden, sie ebnet Unterschiede nicht ein - im Gegenteil. Wo riesige Differenzen in grundsätzlichen Ansichten klaffen, nimmt sie auch nicht die schwierige Auseinandersetzung damit ab. Aber Kultur bietet Anknüpfungspunkte dafür, sich kennenzulernen, Unterschiede aktiv zu Gesprächsthemen zu machen. Und damit vielleicht Interesse zu wecken am Unbekannten, nicht nur aus der Ferne.

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