Kreis und quer:Sprünge im goldenen Spiegel

Mühlfenzl, Martin
(Foto: Bernd Schifferdecker)

Die größten Einkommen, die höchste Kaufkraft - der Landkreis München erreicht in fast allen Rankings stets Spitzenplätze. Doch wo viel Sonne ist, gibt es auch Schattenseiten

Von Martin Mühlfenzl

Wenn die Gesellschaft für Konsumforschung ihre neuesten Daten zur Kaufkraft der Deutschen veröffentlicht, hält sich die Entzückung der Bürger im Landkreis München in Grenzen. Das liegt freilich nicht an mangelnder Bonität zwischen Unterschleißheim und Grünwald - ganz im Gegenteil. Die Gutverdiener im Speckgürtel können es sich schlichtweg leisten, nicht in Jubel ausbrechen zu müssen, wenn ihnen wieder mal der vergoldete Spiegel vorgehalten wird.

Noch beruhigter können nur die Menschen im Landkreis Starnberg und im hessischen Hochtaunuskreis die nächste Gehaltserhöhung abwarten. Der Landeshauptstadt hat der Landkreis München wieder einmal den Rang abgelaufen. Aber auch dort wird den allermeisten beim Blick in den Geldbeutel nicht bang. Den meisten. Denn wo ein hoher Lebensstandard bei besten Einkünften in allen Statistiken als gottgegeben angenommen wird, gibt es auch Schattenseiten. Wohlstand für alle gibt es schlichtweg nicht. Zwar hat der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhardt, sein 1957 erschienenes Buch so genannt - wahr wird diese Annahme dadurch jedoch nicht.

Menschen im Landkreis verlieren ihre Jobs - wie bei Linde, Kelvion oder bei einem Garchinger Automobilzulieferer. Hunderten hoch qualifizierten Fachkräften droht bei Airbus der Verlust des Arbeitsplatzes oder, wenn sie glimpflich davon kommen, der Umzug in die Fremde, nach Toulouse. Das sind die aktuellsten, schlimmen Nachrichten, die mitten in die glühweingeschwängerte, von lieblichen Weihnachtsliedern begleitete, kuschelige Adventszeit platzen. Zu den Schattenseiten einer der reichsten Regionen gehört auch, dass Menschen obdachlos sind, ihre Miete nicht bezahlen können, auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr auf die Füße kommen und nicht wissen, wie sie ihrem Kind das nächste Schulheft finanzieren sollen.

Diese Menschen sind meist ebenfalls nur Teil einer Statistik. Sie tauchen auf, wenn das Jobcenter seine neuesten Zahlen veröffentlicht oder die Kreispolitiker über mehr Geld für das Sozialamt verhandeln. Sie sind die unsichtbaren Gesichter einer Region, die sich im Glanz herausragender, zukunftssicherer Prognosen sonnt. Ihnen aber fehlt oft der Glaube an eben diese Zukunft.

Eine Gesellschaft darf dann ohne Scham in den vergoldeten Spiegel blicken, der ihr von Statistikern vorgehalten wird, wenn sie diejenigen ganz unten nicht vergisst. Wohlstand ist eine Verpflichtung. Sie kann sich in Spenden oder ehrenamtlichem Engagement ausdrücken. In Sportvereinen, der Flüchtlingshilfe, einer Tafel oder als Vorleser in einem Altenheim. Großzügigkeit und Güte werden in keinem Ranking erfasst, machen einen reichen Landkreis aber noch reicher.

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