Kreis und quer:Kilowattweit am Ziel vorbei

Schön. Reich. Sexy. Der Landkreis ist beliebt. Doch Vorsicht! Er ist auch in Gefahr. Und diese Gefahren lauern genau dort, wo man sie nicht erwartet

Von Lars Brunckhorst

Es ist an der Zeit, Alarm zu schlagen: Der Landkreis München, wie wir ihn kennen, ist in Gefahr. Lag der Raum zwischen Unterschleißheim und Grünwald bislang in allen Rankings wegen seiner landschaftlichen Schönheit und wirtschaftlichen Stärke vorne, so droht er jetzt den Anschluss zu verlieren. Zweifel? Bitte, hier ein paar Beispiele aus dieser Woche: Pullach, neben Grünwald Inbegriff des Wohlstands im Landkreis, geht an seine Reserven. In den nächsten Jahren sollen die 80 Millionen auf der hohen Kante komplett aufgebraucht werden, werde man "an der Nulllinie kratzen", hieß es im Gemeinderat. Dort fiel sogar - horribile dictu! - das böse Wort Verschuldung. Etwas Vergleichbares sei ihm in Pullach noch nicht untergekommen, bekannte konsterniert der Kämmerer.

Ein vernichtendes Urteil fiel diese Tage auch über eine andere Kommune: "Taufkirchen ist eine ganz schlimme Gemeinde", sagte Hartmut Schüler. Gut, der Mann ist vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) und meinte das in Bezug auf Radfahrer, doch viele haben das allgemein verstanden; mutmaßlich auch Taufkirchens berühmtester Fahrradfahrer, Ex-Bürgermeister Jörg Pötke, dem sein Nachfolger diese Woche das alte Dienstradl aus der Garage holen ließ. Damit nicht genug der schlechten Nachrichten: Zum Tag der erneuerbaren Energien, der sich heuer zum 20. Mal jährt, muss der Landkreis bekennen, sein Ziel der Energiewende kilowatt- , ach was megawattstundenweit verfehlt zu haben. Statt zu sparen, ist der Energieverbrauch in den letzten fünf Jahren um 25 Prozent gestiegen. Nicht nur das: Mickrige elf Prozent des Stroms kommen aus regenerativen Quellen - drei Prozent aus Biomasse, zwei Prozent aus Photovoltaik und null Prozent aus Wind.

Da fügt es sich ins Bild, dass die britische Firma Terrain Energy Ltd. im Landkreis nach Öl und Gas schürfen will. Auch wenn dies nicht per Fracking geschehen soll, wie Vertreter der Firma am Dienstag vor dem Umweltausschuss des Kreistags versicherten, so wird es das Gesicht des Landkreises verändern: Pferdekopfpumpen, Pipelines - sie könnten bei einer erfolgreichen Suche schon bald zur Landschaft gehören, und zwar ausgerechnet dort, wo diese am schönsten ist: Zwischen Sauerlach, Aying und Holzkirchen erstreckt sich der "Claim", den sich die Briten gesichert haben, und wer weiß schon, was denen zuzutrauen ist. "Wenn eine englische Kapitalgesellschaft in eine großräumige Erkundung investiert, sollte man hellhörig werden", warnt etwa Otto Bußjäger, Landratsstellvertreter und als ehemals selbständiger Handwerksmeister nicht gerade als unternehmerfeindlich bekannt, auf seiner Facebook-Seite. "Im Zweifel", so Bußjäger dort, "wird dieses Unternehmen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die investierten Finanzmittel mit einer entsprechenden Rendite zu erlösen."

Wie alles mit allem zusammenhängt, wird schlussendlich beim Blick auf das Programm zum Tag der erneuerbaren Energie deutlich: In Pullach kann an diesem Sonntag eine Doppelhaushälfte mit einer besonderen Sonnen-Erdspeicher-Heizung besichtigt werden. Die von den Kollektoren auf dem Süddach empfangene Sonnenwärme wird in einem Sand- und Kiesspeicher unter dem Haus aufgefangen. Dort wird sie dann - wer weiß? - vielleicht eines Tages von Terrain Energy per Fracking zutage gefördert, was die Energiewende rettet und auch Pullachs Gemeindefinanzen. So schließt sich am Ende der Kreis und alles wird doch gut.

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