Kreis und quer:Im Großlabor von morgen

Der Landkreis bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück: Angesichts der vielen innovativen Firmen und Menschen gibt es eigentlich keinen Grund, ständig im Stau zu stehen

Von Bernhard Lohr

Der Traum vom Fliegen hat erst wieder einen Mann beflügelt. Der Unternehmer Jochen Schweizer schuf an der Autobahnausfahrt Taufkirchen-Ost eine Erlebniswelt, in der trendige Typen abheben. Direkt neben der A 8 kann sich jeder in einem gläsernen Turm in die Höhe blasen lassen und fliegen. Aus Angst, die freie Sicht auf die wie Fallschirmspringer schwebenden Menschen könnte Autofahrer zu sehr ablenken und zu Unfällen führen, ließ man den Turm außen verkleiden. Schade eigentlich: Denn oft stehen die Autofahrer gerade dort im Stau. Sie hätten dann wenigstens eine Ablenkung gehabt.

Die Erlebniswelt, in die Pendler im Landkreis täglich eintauchen, hat nichts Erhebendes. Sie hätten gerne Flügel. Weil es die nicht gibt, brauchen sie wenigstens gute Nerven. Sie werden im täglichen Kampf, in die Arbeit zu kommen, auf die Probe gestellt. Der futuristische Bau, in dem Menschen in Taufkirchen ohne Fallschirm, Flügel und ohne Flugzeug fliegen können, steht für das "Everything goes" im Landkreis München. Die Autobahn ist das Kontrastprogramm: Nichts geht mehr, heißt es dort.

Das tägliche Chaos auf den Verkehrswegen im Münchner Umland beginnt die Menschen zu zermürben. Sie sind es einfach leid. Und die meisten Politiker haben auch erkannt, dass jetzt schnelle Lösungen her müssen. Plötzlich gibt es Bewegung, wie die Einigung zeigt, die Unterföhrings Bürgermeister mit dem Münchner OB und dem Innenminister zum Ausbau des Föhringer Rings erzielt hat. Landrat Christoph Göbel war letztens bei einem London-Besuch so begeistert von der unkomplizierten Art, mit der elektronischen Oyster-Card die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, dass er auf Facebook postete: Das brauchen wir auch.

Jetzt müssen die Verantwortlichen noch einen Gang zulegen. Denn vollkommen zurecht fragen sich verkehrsgeplagte Bürger, ob der so oft als Hightech-Standort gepriesene Landkreis München nicht auf geradezu absurde Weise hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Der Landkreis muss den Anspruch haben, bei großen Themen wie Klimaschutz, Digitalisierung und Verkehr Vorreiter zu sein. Fast täglich zeigt sich, was es da für Potenziale gibt. Eine Firma aus Feldkirchen nahm diese Woche einen Batteriespeicher in Betrieb, der erneuerbare Energien effektiver nutzbar macht. Innerhalb von zwei Wochen eröffneten Firmen in Aschheim und Unterschleißheim zwei große Rechenzentren. In Garching eröffnet an diesem Montag das Zentrum für Energie und Information (ZEI), an dem Forscher auch herausfinden sollen, wie nachhaltige Mobilität aussehen kann. Der Landkreis München kann Modellregion werden, in der die hier entwickelten Konzepte für die Zukunft erprobt werden - ein Großlabor für die Welt von morgen; wo Menschen Träume verwirklichen, statt sie im Stau stehen zu lassen.

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