Kreis und quer:Höhenangst in der Heimat

Wer lieb Gewonnenes wie die eigene Gartenstadt erhalten will, muss sich auf Neues wie Hochhäuser in der Silhouette des Ortsrandes einlassen

Von Martin Mühlfenzl

Der Historiker Hermann Rumschöttel hat einst in einem Essay über den Landkreis München geschrieben, Heimat sei mehr als eine Immobilie. Das ist schon richtig, schließlich ist ein aus Steinen gemauertes oder Beton gegossenes Gebäude letztlich mehr ein Mittel zum Zweck - das unverzichtbare Dach über dem Kopf. Heimat indes beschreibt vielmehr ein Gefühl, eine Empfindung, die sich - und das ist von Mensch zu Mensch anders - aus den unterschiedlichsten Facetten speist. Am Ende dieses emotionalen Prozesses aber wird wiederum klar, dass es unbestreitbar einer Immobilie bedarf, um überhaupt mit der alten oder neuen Heimat verwachsen zu können.

In den Sechziger- und Siebzigerjahren hatten einige Visionäre im Landkreis ein sehr feines Gespür dafür, wie dem rasanten Bevölkerungsanstieg rund um die Landeshauptstadt Rechnung getragen und Zehntausenden Menschen, die hierher zogen, eine Heimat geboten werden konnte. In Unterschleißheim, der heute größten Kommune des Landkreises, in Ottobrunn, Unterhaching oder Taufkirchen wurde in die Höhe gebaut. Hochhaussiedlungen entstanden, die noch heute von dem ungeheuren Siedlungsdruck dieser Zeit zeugen. Ein Druck, der in der Gegenwart noch gewaltiger auf den 29 Städten und Gemeinden lastet - und die Politik eigentlich zum schnellen Handeln zwingen müsste.

Die Entschlossenheit von einst, die 1962 den Ottobrunner Bürgermeister Anton Wild wegen seiner Hochhaus-Pläne das Amt kostete, ist einer umfassenden Höhenangst der Gestalter gewichen. In einer der am stärksten prosperierenden Regionen der Republik betreiben die allermeisten Bürgermeister eine verhängnisvolle Kirchturmpolitik. Sie versuchen, es ihren Bürgern recht zu machen, die sich in ihren Gartenstädten, Reihenhaussiedlungen und Einzelhäusern bequem eingerichtet haben. Und sie scheuen das am Horizont aufragende Mietshaus wie der Teufel das Weihwasser.

340 000 Einwohner leben heute im Landkreis München - 390 000 werden es nach einer Prognose des Statistischen Landesamtes 2035 sein. Äußerst vorsichtig geschätzt. Es braucht eine gesunde Portion Mut, die Herausforderung dieses Wachstums zu meistern. Die Lösung wird darin liegen, in die Höhe zu bauen und zu verdichten. Gemeinden wie das beschauliche Pullach werden sich nicht auf ewig hinter der Haltung verstecken können, oberste Maxime bei der eigenen Entwicklung habe die Bewahrung des pittoresken Ortsbildes. Heimat ist kein in Stein gemeißeltes Gesetz, das auf alle Zeit Veränderungen untersagt. Vielmehr befindet sich die Heimat in einem ständigen Wandel, den die Politik allerdings aktiv mitgestalten kann. Wer Liebgewonnenes wie die eigene Gartenstadt erhalten will, muss sich auf Neues wie Hochhäuser in der Silhouette des Ortsrandes einlassen.

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