Kreis und quer:Es geht mal wieder um die Wurst

Für Gerhard Polt war die heimische Metzgerei ein Eventparadies; den Aschheimern hingegen graust es im Speckgürtel vor einer stinkenden Schlachterei

Von Udo Watter

Die Bedeutung des protestantischen Pfarrhauses für die deutsche Geistesgeschichte kann kaum überschätzt werden, von Lessing über Jean Paul bis zu Nietzsche und Hesse sind viele Persönlichkeiten dort aufgewachsen, auch Angela Merkel ist vom evangelischen Milieu stark beeinflusst. Im katholisch geprägten Bayern kann man zweifelsohne der Metzgerei eine ähnlich befeuernde Wirkung attestieren. Inspiriert vom Genius Loci der familiären Wursttheke haben etwa Franz Josef Strauß, Gerhard Polt oder Uli Hoeneß auf je eigene Weise Karriere im Freistaat gemacht. Bayerns erster Olympiasieger, Gewichtheber Josef Straßberger, war Metzger (unter anderem in Grünwald), der Vater von Münchens Zweitem Bürgermeister Josef Schmid hat ebenfalls das Schlachten gelernt, und Wiesn-Wirte-Sprecher Toni Roiderer besitzt in Straßlach eine Metzgerei.

Das Bonmot des Dichters Heimito von Doderer, der behauptete, die Bayern zerfielen in zwei Bevölkerungsteile ("den ersten bilden die Metzger, den zweiten die, die nur so aussehen"), gilt aber heute so nicht mehr. Auch Polts Erinnerungen an das Aufwachsen in der Metzgerei - "ein Privileg, welches von anderen Kindkollegen nicht genug beneidet werden kann" - kann man in Zeiten veganen Zärtlichkeitsvokabulars nicht mehr unterstreichen. Die Beziehung des Altbayern zum Gesamtphänomen Fleisch/Wurst hat gesellschaftlich gelitten. Das Ambiente von Blut und Därmen wird nicht mehr als "Eventparadies" (Polt) empfunden: Mancherorts haben Metzger, gerade die mit eigener Schlachterei, Schwierigkeiten, Lehrlinge zu finden, und der Münchner Speckgürtel will vermutlich auch keinen neuen Schlachthof - am 9. Oktober wird der Bürgerentscheid in Aschheim Klarheit bringen. Die Gegner dort sagen "Alle Schlachthöfe stinken" und sprechen von einem "Imageverlust" für die Gemeinde.

Einen Abgesang auf die jahrhundertelange organische Liaison zwischen Bayer und Fleisch muss man deshalb aber nicht anstimmen. Man muss dafür auch gar nicht den Blick auf die Wiesn richten, wo die Zahl der verzehrten Ochsen als ein Indikator für den Erfolg des Festes gewertet wird (2015: 114!). In Grünwald etwa wurde diese Woche eine neue Filiale der Metzgerei "Marcus Bauch" eröffnet, und ob der mutmaßlichen Bedeutung dieses Ereignisses hatte sich gleich die Speerspitze der lokalen Prominenz angekündigt: Gundula Korte (Witwe von Blacky Fuchsberger), Peter Pongratz (Wiesnwirt), die Kessler-Zwillinge, Jumbo Schreiner sowie Magnus Bauch, Vater von Marcus Bauch und als Metzgermeister in München eine Institution. Wie brummte schon Polt in "Der Titelhändler" ("Fast wia im richtigen Leben") zu seiner Gattin, als die einen Adelstitel für ihren Mann und die familieneigene Metzgerei-Kette erwerben will? "Bauch ist ein eingeführter Name."

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