Kreis und quer:Ein schöner Kraftakt

Lea Frehse

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Mit 107 Jahren ist Margaretha Mönich plötzlich ein Internetstar, ihr Interview wird tausendfach geklickt. Was finden Digital Natives an den Weisheiten einer alten Frau?

Von Lea Frehse

Etwa 207 000 erreichte Nutzer auf Facebook: Das Interview mit der 107-jährigen Margaretha Mönich aus Putzbrunn, das Anfang der Woche in dieser Zeitung zu lesen war, hat Rekorde geknackt. Tausendmal mehr Online-Leser haben sich für eine Ü-100-Dame interessiert als für gewöhnliche Nachrichten aus der Region. Mit über einem Jahrhundert wurde Margaretha Mönich zum Internet-Star.

Ist das nicht erstaunlich? Schließlich ist die 107-Jährige zwar eine besonders herzliche, aber eben auch eine im besten Sinn ganz gewöhnliche Frau. Vielleicht liegt darin das Besondere ihres außergewöhnlichen Erfolgs: Zwischen Nachrichten von säbelrasselnden Präsidenten und Bomben gegen Fußballspieler haben 207 000 Menschen auf Mönichs Interview geklickt. "Zum Glück habe ich ja meinen Verstand behalten", lautete der Titel. Mönich erzählt darin, dass sie sich auch mit über hundert noch ordentlich aufregen kann über "Gauner" wie den Trump. Das Porträtfoto verrät: Das Alter hat dieser Frau zwar Flecken auf die Haut gemalt, aber das verschmitzte Lachen nicht genommen. So erfüllt Margaretha Mönich, die noch nie eine E-Mail verschickt hat, mit ihren Sätzen voll Klarheit und Güte plötzlich die Sehnsucht der Digital Natives nach Haltung.

Was beim Liken und Lesen leicht untergeht: Alter ist ein ganz schöner Kraftakt. Mönich kann sich nicht mehr selbst versorgen, jedes Wort kommt ihr nur noch langsam über die Lippen. Wer Fragen stellt, muss deutlich sprechen - und richtig gut zuhören. Es ist Mönichs Glück, dass sich ihre Tochter Ute Schillinger und die Familie so um sie kümmern, dass sie zu Hause leben kann. Umgeben von Scherzen beim Abendbrot und den Margeriten, die sie so liebt. Hinter dem Star steht eine ganze Entourage.

Bloß werden solche Assistentinnen - meist sind es doch Frauen - im Gegensatz zum Showgeschäft im ganz realen Leben weder ordentlich entlohnt noch mit der angebrachten Anerkennung belohnt. Im Alltag sagt doch kaum jemand "Ich mag das", wenn der ältere Herr an der Supermarktkasse wieder so lang braucht bis das Kleingeld aus dem Geldbeutel gefischt ist. Umgekehrt beschwert sich die Rentnerin von nebenan eher über den Dreck im Hausflur, statt sich zum Nachbarskind an den Sandkasten zu setzen. Seit Jahren beklagen viele die offensichtlichen Mängel in der Pflege, ohne dass sich grundlegend etwas ändert.

Da sind eigentlich zwei Mönich'sche Tugenden angebracht: Die Gauner benennen und dabei herzlich bleiben. Und sich Zeit nehmen für Menschen anderen Alters. Mönich selbst war Kinderpflegerin. Es ist wohl leichter, von fremden Alten zu lesen, als selbst Fragen zu stellen - oder zu beantworten. Der Versuch aber lohnt. Mit Glück hört man da Sätze wie diesen von Mönich: "Ich lache jeden Tag!"

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