Kreis und quer:Ein Mythos verblasst

Liebe Grünwalder, haltet eure Croco-Handtaschen fest und sichert die Golf-Caddys. Denn eure Gemeinde ist auch nicht mehr das, was sie mal war

Von Lars Brunckhorst

Grünwald, man muss das in aller Schonungslosigkeit konstatieren, ist auch nicht mehr das, was es angeblich mal war. Wo ehedem Filmstars und Fußballer mit ihren Villen und Luxuslimousinen um die Wette prahlten und an den Gartenpools die Lebensfreude wie der Champagner in den Sektkelchpyramiden perlte, herrschen seit kurzem Not und Elend, Angst und Schrecken. Zweifel? Bitte schön: Wer's nicht glaubt, hat diese Woche nur nicht Frühstücksfernsehen geguckt. Wer dagegen am Mittwoch um zehn - also zu der Zeit, in der in typischen Grünwalder Haushalten gefrühstückt wird - Sat 1 eingeschaltet hatte, musste den Eindruck gewinnen, dass man sich in der Isartalgemeinde besser nicht mehr vor die Haustür wagt, weil dunkelhäutige Menschen am helllichten Tag um die Auslagen der Juweliere streifen und Töchtern aus gutem Hause und auf High Heels hinterher pfeifen, derweilen Pelzmantel behängte Frauen ihre Croco-Handtasche festkrallen und Ehemänner den Golf-Caddy in der alarmanlagengesicherten Doppelgarage parken.

Wirklich neu war das nicht, was der Privatsender aus dem "Nobelviertel" zeigte. Seit die Katastrophen dieser Welt auch die Sichtschutzmauern umstandenen Vorgärten der Isartalgemeinde erreichen und 300 Asylbewerber auf einem Acker am Ortsrand untergebracht sind, sorgen sich manche reiche Vorstädter. "Spätestens seit der Silvesternacht haben Frauen massive Ängste", sagte schon vor Wochen eine Mutter zur SZ. Man traue sich nachts nicht mehr auf die Straße, eine andere. Und die Kinder lasse man nicht mehr alleine zum Sport oder zu Freunden gehen. Schon titelte eine Boulevardzeitung: "Wird Grünwald zur Banlieue?", illustriert mit einem Foto aus den schmuddeligen Pariser Vorstädten. Sind das nur Rostflecken im Chrom, Kratzer im Hochglanzlack? Oder ist der glamouröseste Ort im Landkreis akut abstiegsbedroht?

Nein, natürlich nicht. Und doch: Der Mythos verblasst. Selbst aus dem Grünwalder Rathaus kommen dieser Tage unheilvolle Botschaften. 2014 hat die Gemeinde 60 Millionen Euro aus ihren Rücklagen genommen, voriges Jahr noch mal 34 Millionen Euro. Ein großer Teil davon wurde im Geothermie-Projekt der profanen Nachbargemeinde Unterhaching versenkt. Schon warnt ein Gemeinderat: "Wir haben in Grünwald nicht mehr unbegrenzte finanzielle Möglichkeiten." Zugleich erwächst dem schönen Grünwald in Gestalt des hässlichen Entleins Unterföhring ein Konkurrent um die Rolle reichste Gemeinde. Dort hat man mittlerweile mehr Geld im Gemeindesäckel, als man ausgeben kann. Allein 424 Millionen Euro in diesem Jahr.

Überraschend ist das nicht. Unterföhring hat Grünwald ja schon auf anderem Gebiet lange abgehängt. Während in Geiselgasteig die Lindenstraße verfällt und das Boot vor sich hinrostet, kommen aus Unterföhring seit Jahren Blockbuster und die Bundesliga live. Sky, so war gerade erst wieder zu lesen, ist weiter auf Expansionskurs, ProSieben Sat 1 mit 3,26 Milliarden Euro Jahresumsatz seit dieser Woche gar im Dax. Grünwald liefert dagegen allenfalls noch den Wetterbericht vor der Tagesschau mit Claudia Kleinert. Und das Wetter ist ja, wie Grünwald, auch nicht mehr ganz das, was es mal war.

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