Kreis und quer:Die Hemmschwelle sinkt ins Bodenlose

FDP-Gemeinderat Willibald Hackl wirft Putzbrunns Bürgermeister Klostermeier Nazi-Methoden vor. Wer so agiert, schadet der Demokratie und sollte überlegen, ob er der Richtige für ein öffentliches Amt ist

Von Martin Mühlfenzl

Godwins Gesetz besagt, dass sich, je länger eine Unterhaltung dauert, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gesprächsteilnehmer einen Nazi-Vergleich anbringt, dem Wert Eins annähert. Auf den Putzbrunner Gemeinderat - und andere kommunalpolitische Gremien im Landkreis - übertragen, müsste dieses Phänomen der Internetkultur bedeuten, dass selbst Diskussionen über wenig verdächtige Themen wie die Straßenausbaubeitragssatzung stets mit einem derartigen Fehlschuss enden müssten. Tun sie aber nicht. Und so sucht der Nazi-Vergleich des FDP-Gemeinderats Willibald Hackl tatsächlich Seinesgleichen.

Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende will die Gemeinde Putzbrunn ihre Vergangenheit aufarbeiten. Eine wissenschaftliche Arbeit soll sich mit der Zeit zwischen 1933 bis 1955 befassen. Mitten hinein in die Diskussion über die richtigen Instrumente und Ziele der ortsgeschichtlichen Vergangenheitsbewältigung aber warf Hackl Bürgermeister Edwin Klostermeier (SPD) diese Woche vor, "wie in der Nazizeit" Wortmeldungen zu unterdrücken, die ihm nicht passten. Klostermeier hatte dem Gemeindearchivar in der Sitzung nicht - wie von Hackl gewünscht - das Wort erteilt. Damit hielt er sich freilich nur an die Gemeindeordnung.

Die Unterstellung ist absurd. Waren es doch gerade die Nationalsozialisten, die Recht und Gesetz faktisch außer Kraft gesetzt haben. Außerdem bagatellisiert der Vergleich die Verbrechen der Nazis. Die verbale Entgleisung wiegt daher schwer. Hackl sollte sich fragen, ob er für das Amt des Gemeinderats eignet ist. Zunächst sollte er sich aber für seine Geschmacklosigkeit entschuldigen.

Diese fällt in eine Zeit, in der das Niveau der politischen Auseinandersetzung immer weiter sinkt. Erst vor wenigen Tagen diagnostizierte Innenminister Thomas de Maizière eine "Verrohung der Gesellschaft". Der Ton, das lässt sich auch im Landkreis seit geraumer Zeit feststellen, wird rauer. Als es in Ottobrunn etwa um den Bau einer Siedlung für Flüchtlinge ging, mussten sich Bürgermeister und Landrat vorwerfen lassen, sie würden "Konzentrationslager" bauen. Die Perfidie des Vergleichs: Den Gegnern ging es allein darum, die Unterkünfte zu verhindern - nicht darum, Schutzsuchende vor der Einkasernierung zu bewahren.

Wenn das Aggressionspotenzial steigt, die Hemmschwelle sinkt und krude Thesen vermehrt um sich greifen, haben Kommunalpolitiker eine besondere Verantwortung. Sie müssen besonnen, transparent, sachlich agieren. Das gilt - auch und gerade - wenn sie den Blick zurück wenden und sich dem dunkelsten Kapitel der Ortsgeschichte stellen. Hildegard Hamm-Brücher, die Grande Dame der FDP, hat einmal gesagt: "Ohne die Erinnerung können wir unsere Demokratie nicht retten." Bei Gemeinderat Willibald Hackl wünscht man sich, er würde ihr nicht schaden.

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