Kreis und quer:Der Trachtler im Sommerstoiber

Der Miesbacher hat die Täler von Mangfall und Leitzach verlassen. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man auf Brauchtums-Veranstaltungen unterwegs ist. Denn seine Tracht ist in Oberbayern fast überall zu finden

Von Martin Mühlfenzl

Der Miesbacher ist - mit Verlaub - ein ganz gemeiner Hund. Jahrhundertelang verschanzt er sich in den Tälern der Mangfall und der Leitzach, lockt die Bewohner aus dem Flachland an den Tegernsee oder Spitzingsee und nimmt sie dabei beim Schafkopfen oder Skifahren am Taubenstein aus. Und gleichzeitig schaffen es diese Oberlandler noch, den Rest Oberbayerns zu infiltrieren - und seine Bewohner rein optisch in echte Miesbacher zu verwandeln. Und kaum einer merkt's.

Das ist schon dem ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber so ergangen. Verzeihung: Dem geht's heute noch so. Beim Kampf gegen EU-Bürokraten, im Ledersessel einer der unzähligen Talkshows oder als Gast beim Politischen Aschermittwoch: Meistens ist der Stoiber auch im Sommerstoiber (so die Biermösl Blosn) unterwegs. Also im Trachtenjanker, der ja - und jetzt aufgepasst - ein Bestandteil der Miesbacher Tracht ist. Und das, obwohl der Stoiber ja nur in Wolfratshausen zum Frühstück lädt. Ganz Oberbayern - und zu Zeiten der Wiesn die halbe Welt - kleidet sich zu ausgewählten Gelegenheiten, als gäbe es eine Miesbacher-Tracht-Verordnung. Selbst im Landkreis hat das Outfit aus dem Oberland längst Fuß gefasst. Die Sauerlacher Trachtler, die an diesem Wochenende ihr 110-jähriges Bestehen feiern, wissen um ihr Erkennungsmerkmal: Natürlich, die Miesbacher Tracht. Ein Auswärtiger freilich wird einen Sauerlacher Römastoana kaum von einem Oberhachinger Gleißentaler unterscheiden können, denn der ist ja genau so stolz auf seinen hellgrauen Janker.

Ja mei, ist denn von der Liberalitas Bavarica überhaupt nichts mehr übrig geblieben? Von der bayerischen Freiheitsliebe, der Freigiebigkeit und einem gewissen Hang zum Individualismus.

Der hat auch die Politik verlassen. Hat sich doch in Oberbayern etwa der Stereotyp eines Landrats durchgesetzt, der kaum mehr aus den Köpfen der bemitleidenswerten Wähler herauszubringen ist. Da steht er dann vor einem oder blickt strahlend vom Wahlplakat herunter, der Regionalkönig samt echter Hirschhornknopf-Leiste. Ein Machtmensch, der beim Anzapfen im Bierzelt - wenn überhaupt - nur einen zweiten Schlag braucht. Ein jovialer Macher, der sich immer den Anstrich des Bodenständigen gibt - natürlich in der Miesbacher Joppen. Christoph Göbel, der hiesige Landrat, kennt Auftritte dieser Art gut; und jeder Bürgermeister eifert ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach.

Aber warum fühlt sich niemand bemüßigt, diesen Vormarsch der Miesbacher Tracht aufzuhalten, die seit 100 Jahren - und niemand weiß das besser als die bald 110 Jahre alten Sauerlacher Trachtler - ihren Siegeszug durch die Region führt? Bei jedem Volksfest, bei Trachtlertreffen und kirchlichen Hochfesten, bei Familienfeiern und Jahreshauptversammlungen entsteht der Eindruck, der gemeine Miesbacher habe seine Täler längst verlassen.

Also, einfach mal die Mama fragen, ob sie nicht doch wieder zu den Stricknadeln greifen will. So ein handgefertigter Janker war einst der Stolz des Trachtlers in der Region - und hob ihn schon rein optisch vom Miesbacher ab.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: