Konzert:Klänge der Romantik

Konzert: Lorenz Kellhuber hat als erster Deutscher 2014 in Montreux beim Jazz Festival in der Kategorie Piano Solo gewonnen.

Lorenz Kellhuber hat als erster Deutscher 2014 in Montreux beim Jazz Festival in der Kategorie Piano Solo gewonnen.

(Foto: Claus Schunk)

Pianist Lorenz Kellhuber improvisiert in Pullach auf ungewöhnliche Art

Von Julian Carlos Betz, Pullach

Frei aber einsam, oder kurz: F.A.E. Nach dieser Devise des Geigers Joseph Joachim komponierten Brahms, Schumann und Dietrich vor mittlerweile 165 Jahren eine Sonate, die sie ebendiesem Musiker widmeten. Mit demselben sprachlichen Dreiklang könnte man dann auch das vielsinnige und zuweilen melancholische Spiel des jungen Jazz-Pianisten Lorenz Kellhuber beschreiben.

Wer sich mit der Biographie und dem Habitus des hochbegabten Pianisten aus der Gegend um Regensburg nicht auskennt, würde vermutlich nicht von allein auf die Idee kommen, dass er jedes der vorgetragenen Solo-Stücke improvisiert. Denn Kellhuber, der 2014 als erster Deutscher den prestigeträchtigen Titel des Montreux Jazz Festivals in der Kategorie Piano Solo gewann, liefert tatsächlich unvorhersehbare Auftritte.

Schon der Beginn des Konzerts, zart aber bestimmt, öffnet ein ganzes Tal an Klängen und lässt im Grunde keinen Zweifel an der ganz bewussten Manier des Pianisten aufkommen, Akzente und Pointen wie zufällig erscheinen zu lassen, ohne jedoch in Willkür auszuarten. Das stellenweise an Michael Nyman oder auch George Gershwin erinnernde Spiel fließt versonnen, aber doch unprätentiös in ruhigen, leicht gewundenen Bahnen dahin.

Spätestens zum dritten Stück aber wird die klassische Orientierung des Künstlers deutlich, Brahms getragene Melodik scheint mehr als einmal auf und hebt den Jazz-Abend aus vergleichbaren Auftritten deutlich heraus. Kellhuber selbst nennt Brahms als großen Einfluss, neben Bach, Hindemith und dem katalanischen Komponisten Frederic Mompou. Letzterer war für sein minimalistisches, beinah schmuckloses Spiel bekannt, an dem sich Kellhuber gerne zu orientieren scheint. Auch sein Stil ist schlicht, ohne Furcht vor Redundanz oder Wiederholung und gerade deswegen kraftvoll in der pathetischen Geste: Schon bei anderen Auftritten wurde seine erzählerische Fähigkeit gelobt, die sich auch in Pullach entfalten konnte. Als Zuhörer fragt man sich: Wie geht es weiter? Was kommt als Nächstes? Und erhält gleich darauf die verschlüsselte, leise hindurchklingende Antwort. Man ist sich fast sicher, ja, so muss es sein.

Wer jedoch einen ekstatischen Abend der Extreme und jazzigen Exaltiertheiten erwartet hatte, wurde enttäuscht, denn darum ging es Kellhuber klar erkenntlich nicht. Nur stellenweise kommt ein lässiger, ironisierender Blues um die Ecke und ruft die Vorstellung einer staubigen Bar in New Orleans hervor, in der Romantik und Sehnsucht sich dankbar in dem Getränk vor einem auflösen. So auch in der zweiten Zugabe, als er "Can't find my way home" von Steve Winwood spielt. Erst hier kommt das kokettierende Spiel des leidenden Begehrens mit sich selbst ganz zum Tragen, wenn die Sehnsucht nach Heimat mit der Sehnsucht nach Fremde zusammenfällt und auch genau so klingt, verlangend und absagend zugleich.

Das Programm des außergewöhnlichen Musikers ist klar: Präzision, schnörkellose Motive und eine Bereitschaft, jederzeit für kontrollierte Augenblicke auszubrechen in das reizvolle Spiel mit den Off-Beats, den sanften Dissonanzen und der scharfen Wende im Tempo. Dahinter steht ein erfahrenes Bewusstsein, das eigentlich auf viele verlebte Jahre hindeuten müsste. Ungewöhnlich, tatsächlich, und nebenbei auch noch enorm vielversprechend.

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