Kolumne: After Eight:Männerschorle zum Schafkopfen

Eine Stadt in Orange: Die Sprizz-Sucht nimmt immer bedenklichere Züge an. Kann die Männerschorle die Münchner "heilen"?

Beate Wild

Egal, in welchem Viertel man sich dieser Tage abends herumtreibt, in sämtlichen Bars und auf jedweder Terrasse Münchens dominiert ganz klar eine Farbe: orange.

Aperitif "Sprizz", 2007

Sprizz, wohin man blickt: Auch José Garcia Hernandez, Barchef im Hotel Mandarin Oriental, serviert das Münchner Modegetränk.

(Foto: sz.sonstige)

Nein, keine Sorge, es handelt sich nicht um eine Invasion Holländischer Fußballfans oder einen Streik der Müllmänner. Wir reden hier von Getränkefarben. Genauer gesagt von dem Münchner Sommergetränk: dem Sprizz. Vor ein paar Jahren zu uns aus Italien herübergeschwappt, nimmt die Sprizz-Manie der Münchner mittlerweile immer bedenklichere Ausmaße an.

Überall wird das süße Gesöff aus Aperol mit Prosecco oder wahlweise Weißwein konsumiert. Dass Sprizz im Hugos und im P1 erhältlich ist, braucht hier gar nicht extra erwähnt werden, das versteht sich ja fast von selbst. Doch auch düstere Studentenkneipen, bayerische Wirtschaften, spanische Tapasbars und beinharte Techno-Clubs haben kollektiv nachgezogen. Manche Bars schenken das Zeug mittlerweile schon in Pappbechern zum Mitnehmen aus, wie im Schall & Rauch in der Maxvorstadt gesehen. "Sprizz to go" heißt das dann auf neudeutsch. Ja, sogar in den typischen Münchner Boazn, wie dem Ungewitter in Schwabing, steht der Sprizz wie selbstverständlich auf der Kreidetafel hinter der Bar.

Sollte man sich etwa ernsthafte Sorgen machen, ob dieser Soft-Cocktail nicht gar das heimische Bier zu verdrängen beabsichtigt? Man möge sich vorstellen, der Stammtisch-Bruder im Wirtshaus am Eck bestellt am Abend zur Schafkopfrunde mit seinen Spezln nicht mehr ein paar Halbe Bier, sondern ein paar Gläschen Sprizz. Da schrillen doch die Alarmglocken des bayerischen Traditionalisten und Brauchtumshüters.

Sollte man dagegen nicht etwas unternehmen? Vielleicht ein Volksbegehren? Steckt möglicherweise ein Komplott des italienischen Likörherstellers dahinter? Denn der macht alleine mit den Münchnern bestimmt schon die Hälfte seines Jahresumsatzes.

Die dekadenten Zeiten sind vorbei

Ein anderer Punkt ist die soziale Komponente dieses Getränks. Muss man die Münchner Entwicklung vom Kir Royal hin zum Sprizz gar als gesellschaftliches Warnsignal deuten? In den Achtzigern konnte man sich in dieser Stadt noch den aus Champagner gemixten Aperitiv leisten. Um zu verstehen, wie die Münchner damals tickten, muss man sich nur Helmut Dietls gleichnamige Serie anschauen. Überhaupt: Welcher Drink hat schon seine eigene Fernsehserie? Wie auch immer, heutzutage leisten sich die Münchner nur noch den vergleichsweise billigen Prosecco. Sind die dekadenten Zeiten jetzt endgültig vorbei? Wo soll das alles noch hinführen?

Vielleicht, wenn wir Glück haben, ist der Trend zur vollkommenen Versprizzung ja noch aufzuhalten - beispielsweise mit einem neuen Modegetränk. Neulich keimte - allerdings nur kurz - Hoffnung auf, als ein Gast am Tresen der Schnellen Liebe im Glockenbachviertel eine "Männerschorle" bestellte. Ein neuer Drink? Der Barkeeper reichte ihm ein Halbe-Glas, das man in Bayern sonst für Bier verwendet. Der Inhalt war: Sprizz.

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