Kolumne: After Eight:Die Bar fürs Leben

Es darf nur eine geben: die Stammkneipe. Mit ihr lebt man in guten und in schlechten Zeiten. Eine Katastrophe bahnt sich an, wenn sie vorübergehend zu hat.

Beate Wild

Es war fast so, als hätte man Liebeskummer. Zumindest starke Sehnsucht. Ungefähr so, wie wenn der Geliebte in Urlaub fährt und man selber daheim bleiben muss. Man weiß zwar, dass er irgendwann wiederkommt, aber die Entzugserscheinungen sind doch ziemlich schlimm.

Schall und Rauch

Wie sehr  man an seiner Stammkneipe hängt, merkt man erst, wenn sie einmal wegen Renovierung schließen muss.

Im Bild: das Schall & Rauch.

(Foto: Pia Röder)

Die Rede ist hier allerdings nicht von einem Pärchen, sondern von einer Liebesbeziehung der anderen Art: die zwischen dem Stammgast und seiner Stammkneipe. Es war die letzte Woche im Januar, als die jähe Zäsur eintrat: Das Schall & Rauch, unser Wohnzimmer in der Schellingstraße, blieb geschlossen. Zwar nur zwecks Renovierung und auch nur für gut eine Woche, doch die Ratlosigkeit im Freundeskreis war groß.

Wo sollten wir jetzt hin? Diese Kneipe ist doch der Ort, an dem wir alles bekommen, was wir brauchen. Wir gehen hin, wenn wir Hunger haben, wenn wir durstig sind, wenn wir etwas zu feiern haben, wenn wir unglücklich sind, wenn wir uns Mut antrinken wollen, wenn wir jemanden zum Reden brauchen, wenn wir verliebt sind, wenn uns jemand verlassen hat, wenn wir Trost brauchen, wenn wir Sex suchen oder Streit, wenn wir uns über den Job geärgert haben oder wenn wir auf der Suche nach jemanden sind - denn früher oder später ist dort noch ein jeder aufgetaucht.

Oder wie J.R. Moehringer in seinem 2007 erschienenen Roman "Tender Bar" über das zentrale Lokal seines Lebens schreibt: "Vor allem aber gingen wir hin, um uns finden zu lassen." So ist das auch mit uns und dem Schall & Rauch.

Eine Stammkneipe ist viel mehr, als nur eine Bar. Sie ist eine Art Heimat. Sie ist mehr als nur ein Lokal, sondern die Summe aller Freunde. Eine Stammkneipe ist die Fusion von Personal und Gästen, die zusammen die Familie ergeben. Ganz egal, ob es sich dabei um das Vereinsheim des FC Neuhadern handelt, um den Dönerladen am Eck oder um eine Boazn im Studentenviertel.

Ist sie einmal geschlossen, und sei es nur für kurze Zeit, merkt man erst, wie sie einem fehlt. Dieses Zugehörigkeitsgefühl entwickelt sich über Jahre, weshalb man auch nicht schnell mal eine andere Kneipe zum Lokal seines Herzens küren kann. Das wäre wie fremdgehen. Freilich kann man mehrere Lieblingslokale haben, doch eine Stammkneipe gibt es nur einmal, und in der Regel dauert diese Beziehung Jahre, Jahrzehnte, vielleicht ein halbes Leben lang. Lieblingslokalen haftet dagegen stets etwas Temporäres, ja Flüchtiges an.

Von unseren Qualen wurden wir schließlich erlöst. Seit ein paar Tagen ist die Renovierung im Schall & Rauch abgeschlossen. Es war ein herrliches Gefühl, abends am angestammten Tisch 9 zu sitzen und ein Bier zu trinken.

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