Klinikum Haar:Verrückte Idee

Aus dem Areal der Psychiatrie in Haar wird ein neues Wohnviertel. Die große Herausforderung: Wie erhält man ein Denkmal und schafft zugleich ein Zuhause für 2000 Menschen?

Von Bernhard Lohr (Text) und Angelika Bardehle (Fotos)

Vielleicht passte der Name noch nie so gut wie jetzt. Was früher im Volksmund als das Haus der "Burgfräulein" in Haar bekannt war, hat sich mittlerweile zu einem wahrhaft rapunzelartigen Gebäude entwickelt. Wie aus einem Märchen entsprungen erhebt sich der mächtige Bau hinter einer hohen Mauer, über die alte Bäume ragen. Die Gitter an den Fenstern erinnern daran, dass er einst die Forensik für Frauen beherbergte. Einige Zeit schon steht das Gebäude leer, wie die meisten in dem wie verwunschen wirkenden früheren Parkgelände des Isar-Amper-Klinikums München-Ost. In Kürze wird dort eine Großbaustelle aufgemacht. Investoren werden es in das Jugendstilpark-Wohngebiet verwandeln. Diese Woche dürfte der Gemeinderat den Bebauungsplan beschließen und damit Baurecht schaffen.

Wer also noch den besonderen Reiz des in einen Dornröschenschlaf gefallenen Geländes erleben will, sollte sich ein Beispiel an Bürgermeisterin Gabriele Müller nehmen. Sie nutzt einen Streifzug, um zu erzählen, wie aus den alten Gemäuern, die mit dem 29 Hektar großen Park zusammen ein geschütztes Denkmal bilden, ein neuer Ortsteil entstehen soll. Als sie vor der knapp vier Meter hohen Mauer der Forensikburg steht, wird deutlich, dass der Teufel oft im Detail steckt. Kann man in einer früheren Forensikbau wohnen? Und was wird aus der denkmalgeschützten Mauer? Am Ende fand sich ein Kompromiss. Die Mauer wird zum Teil geöffnet, ein öffentlicher Rad- und Fußweg wird nun hinter der Mauer durchgeführt.

Eine spannende Lösung, wie Fridolin Lippens findet. Der Prokurist der Cubatur 7 GmbH ist bei dem Spaziergang dabei. Er vertritt den Bauträger, der zehn historische Klinikgebäude zu Wohngebäuden umgestalten wird. "Hier werden einmal die Schulkinder durchgehen", sagt Müller zu dem geplanten Weg.

Alt und Neu sollen zusammenwachsen zu etwas Besonderem. Das ist der Plan, den die Gemeinde Haar, in der seit jeher großer Wert auf Städteplanung gelegt wird, seit 2003 verfolgt. Damals gab man eine Rahmenplanung für das Gelände in Auftrag, das der Bezirk Oberbayern verkaufen wollte, und es begann die Entwicklung hin zu einem Konzept, das nun stringent umgesetzt werden soll: Der Kern des Geländes mit den großen Klinikbauten wird weitgehend unberührt und erhalten bleiben. Außen wird verdichtet und hinter die Gebäude an der Vocke- und Leibstraße, die Architekt Gert F. Goergens mal als Perlenkette bezeichnete, wird eine weitere Reihe von Bauten gesetzt. Im Norden des Gebiets, gegenüber dem Haupteingang zur Klinik, baut die Erlbau GmbH ein Pflegeheim, daneben eine Einrichtung für Betreutes Wohnen; dazu kommt ein Geschäftshaus, in dessen Umfeld auch ein Teil der 90 Wohnungen entsteht, für die die Gemeinde sich von den Investoren auf 25 Jahre das Belegungsrecht erwirkt hat, um nach dem sogenannten Haarer Modell günstig Wohnraum anbieten zu können.

Wie Alt und Neu "beispielhaft" zusammengehen können, ist nach Müllers Vorstellung am neuen Unternehmenssitz der Oberbayerischen Heimstätte zu sehen, die das ehemalige Casino der Klinik, direkt gegenüber dem Kleinen Theater, saniert hat. Deshalb beginnt Müller ihren Rundgang mit einem Besuch bei Michael Zaigler, dem Geschäftsführer des Bauträgers des Bezirks, der in einem kernsanierten Gebäude residiert, beidem bis hin zu Holzvertäfelungen, dem Treppenhaus und den verbliebenen Originalscheiben in den Fenstern alles laut Müller "behutsam modernisiert" wurde, um den Charakter des Baus zu erhalten. 120 Fenster habe man ausgebaut, bearbeitet und wieder eingebaut, sagt Zaigler. "Die Türen sind alle original, wie vor 100 Jahren." Dafür ist die Haustechnik modern, mit Aufzug, Klimaanlage, zentraler Lichtsteuerung. Im früher als Speicher genutzten Dachgeschoss entstand ein lichter Besprechungsraum.

Solche Standards sollen nach Müllers Vorstellung im gesamten Gelände umgesetzt werden. Doch wie schwierig das ist, zeigt sich schon beim Verlassen des Firmensitzes der Oberbayerischen Heimstätte. Direkt gegenüber hat der Bezirk neben dem Kleinen Theater einen kleinen Bau saniert und dort die Fachberatung Fischerei einquartiert, was im Rathaus schon vor Jahren als Unding kritisiert wurde, weil am Hauptzugang ins Quartier ein Café oder ähnliches vielleicht besser hinpassen würde. Bürgermeisterin Müllers Blick verdüstert sich beim Anblick gegenüber. Der Bau sei bei weitem nicht so qualitätvoll saniert wie möglich, sagt sie. Und dass Autos davor abgestellt sind, hält sie glatt für einen Frevel. "Wir kämpfen darum, dass der Parkplatz hier wegkommt." Denn ein Prinzip im Jugendstilpark: Es sollen so gut wie überall große Tiefgaragen die Autos aufnehmen und oben die Flächen frei bleiben.

Die Tiefgaragen werden gebraucht, weil 2000 Menschen in dem Gelände leben sollen. Sie sollen in den modernisierten Altbauten wohnen, über die Prokurist Lippens von Cubatur 7 schwärmt wie über das Areal insgesamt. "Das ist wirklich einzigartig. Das kann man gar nicht nachbauen." Aber er gibt - im Herz der alten, mit Fliesen bis obenhin gekachelten Wäschereiräume der Klinik stehend - auch zu, dass es eine komplexe Aufgabe ist. Es ist ein weiter, 25 Meter quer durchmessender hoher Raum mit Balustrade. Die Metallfenster erinnern daran, dass hier einmal hohe Luftfeuchtigkeit herrschte. Mit etwas Fantasie kann man sich den Raum als Mittelpunkt eines luxuriösen Appartements vorstellen. Lippens freilich sieht bis dahin noch einige Hürden vor sich und spricht von einer "größeren Herausforderung". Der Denkmalschutz rede auch da mit. Pläne lägen dazu noch nicht vor. Ähnlich schwierig dürfte der Umbau im ehemaligen Handwerkerhof und in der früheren Forensik werden; und auch in einem der letzten Gebäude, die noch genutzt werden. Vor dem Haupteingang des in Nord-Süd-Richtung quer durchgehenden Gebäuderiegels, der nach Müllers Worten in seiner Ausdehnung sogar das Schloss Schleißheim übertrifft, stehen jede Menge Fahrräder. Noch ist die Geriatrie des Isar-Amper-Klinikums dort untergebracht. Eine Pflegerin kommt mit einer Frau im Rollstuhl den Weg entlang, der auch in Zukunft für Fußgänger und Radfahrer die zentrale Verbindung querdurch von Ost nach West sein wird. Autos werden nicht durchfahren können. Das ganze Areal soll verkehrsberuhigt bleiben.

Aber es wird belebter und dichter bebaut werden. 150 Meter weiter nördlich hält Bürgermeisterin Müller inne, bleibt stehen und streckt einen Arm aus. "Noch sehen wir eine große Wiese", sagt sie und betont das "Noch". Michael Zaigler und seine Oberbayerische Heimstätte werden nach den Plänen des Architekturbüros Bogevisch aus München-Neuhausen Gebäude errichten, die sich an den denkmalgeschützten Pavillonbauten der Klinik orientieren. Müller betont aber, dass sie sich dem Bestand in der Höhe und auch in der zurückhaltenden architektonischen Sprache unterordnen würden. Ein Imitieren würde nicht funktionieren, sagt sie, und eine Konkurrenz von Alt und Neu wäre fatal.

Bei der Qualität der Materialien und der Ausführung von Fenstern und Fassade sollen beide aber zueinander finden. Es soll keine Privatgärten geben, dafür Loggien, wie im Altbestand.

Über all diese Dinge hat die Gemeinde in den vergangenen Monaten mit den Investoren von der Heimstätte, von Cubatur 7 und auch von der Jugendstilpark GmbH, die ursprünglich Hauptakteur beim Kauf des Geländes war und bis heute einen Großteil der Altbauten besitzt, in einem Gestaltungsbeirat diskutiert. Auch architektonische Detailfragen seien beraten worden, sagt Müller. Ein bisher ziemlich einmaliger Vorgang. Bauamtschef Josef Schartel zieht Parallelen zur Stadt München, wo bei stadtplanerisch bedeutsamen Vorgängen eine Gestaltungskommission mitredet.

So soll der Spagat gelingen, das Denkmal in einen lebendigen neuen Ortsteil umzuwandeln. Noch im Sommer strebt Müller den Spatenstich für den Bau des Pflegeheims an der Vocke-, Ecke Leibstraße an. Über den Bau einer Kindertagesstätte im Süden durch die Gemeinde wird im Bauausschuss bereits beraten. Fridolin Lippens ist zurückhaltend mit Aussagen, wann die Sanierung der Altbauten beginnt, deren bauliche Qualität er der Herkunft als soliden "Staatsbau" Anfang des 20. Jahrhunderts zuschreibt. Bei Gebäuden sei man an der Werkplanung dran, sagt er. "Unser Baubeginn ist für uns noch nicht ablesbar." Die Vermarktung der Wohnungen werde aber in einigen Wochen beginnen. Schnell dürften die Erschließungsarbeiten anlaufen. Kanal, Wasser, Strom und Glasfaserkabel - all das wird neu verlegt. Das Rathaus wird alles weiter verfolgen, auch wenn der Gemeinde im Jugendstilpark keine Flächen selbst gehören. Der Einfluss ist daher begrenzt. Aber streiten will Müller weiter, wie beim Café und bei der Fischerei-Fachberatung. Ein Café wird es übrigens auch so geben - in Sichtweite des Kleinen Theaters, in einem Neubau mit Südterrasse. Freier Blick auf die Kita Casinostraße und auf eine Wiese. Auch das soll es dort weiter geben.

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